Nirgendwo anders gehört der Strudel so zur Esskultur wie in Österreich. Kein Wunder also, dass Strudelbuch-Herausgeberin Irmtraud Weishaupt in Graz lebt. In ihrem Kochbuch stellt sie Rezepte für jeden Geschmack vor und kann auch zur Geschichte des beliebten Gebäcks einiges erzählen.
«In den einzelnen Ländern, die früher dem Habsburger Reich angehörten, gibt es schon lange Strudel, zum Teil mit den unterschiedlichsten Namen und Füllungen», erklärt sie. «Man vermutet aber, dass die Chinesen mit der Frühlingsrolle oder die Türken mit ihrem Baklava, einer Art geschichtetem Strudel, die Vorreiter waren.» Beim heutigen Strudel wird ein Teig ausgerollt, mit einer Füllung versehen, eingerollt und dann gebacken oder gekocht.
Die Bezeichnung «Strudel» kommt wahrscheinlich daher, dass die Teigrolle ursprünglich zusätzlich spiralförmig eingerollt wurde, also in der Form an einen Wasserstrudel erinnerte. Seine Beliebtheit hat sicher auch praktische Gründe: Wenige Zutaten ergeben einen Teig, gefüllt wird mit dem, was gerade zur Verfügung steht.
Nur Apfel? Füllung setzt der Fantasie keine Grenzen
Das erklärt auch, warum der Apfelstrudel zum Klassiker wurde. «Äpfel gibt es überall, deshalb hat sich der Apfelstrudel sicher auch so verbreiten können», meint Weishaupt. Einst eine beliebte Hofspeise, haben in den letzten Jahrzehnten die Touristen das süße Gebäck begeistert aufgenommen. «Damit hat sich der Apfelstrudel fast zu einer Legende entwickelt.»
Irmtraud Weishaupt bereitet für sich, ihren Mann und den Sohn selbst gerne einen Strudel zu. «Ich bin aber eher auf der pikanten Seite», sagt sie. Das Lieblingsrezept, das der ganzen Familie mundet, ist solch ein herzhafter Strudel, «wenn es schnell gehen soll, sogar mit einem gekauften Blätter- oder Strudelteig», gesteht die Grazerin. Bei ihrem Lieblingsrezept röstet sie für die Füllung zuerst Zwiebel und Hackfleisch an und würzt mit Salz, Pfeffer, Knoblauch und Majoran.
Immer ein bisschen Hartkäse über die Füllung reiben
«Dann gebe ich Gemüse dazu: was gerade im Garten ist oder auch Tiefkühlgemüse, wenn’s schnell gehen soll. Ist das Gemüse hart, wie etwa Karotten oder Erbsen, sollte es schon etwas vorgekocht sein», beschreibt Weishaupt. Die gesamte Füllung kommt auf den Teig. «Ich reibe ein bisschen Hartkäse darüber und dann wird der Strudel eingerollt und mit Ei bestrichen, damit er schön goldbraun und knusprig wird.»
Nach etwa 35 bis 40 Minuten ist ihr Strudel fertig und ergibt zum Beispiel kombiniert mit einem frischen Salat ein vollständiges Hauptgericht. Die Backtemperatur beträgt in der Regel bei Ober- und Unterhitze zwischen 180 und 200 Grad, bei Heißluft zwanzig Grad weniger. Mindestens gut dreißig Minuten sollte ein Strudel generell im Ofen sein.
Eine ausgefallene herzhafte Variante ist der Käferbohnenstrudel. Die schwarzlila gefleckten Bohnen, vor allem in der Steiermark eine Spezialität, sind hierzulande als Feuerbohnen bekannt. Neben den Bohnen kommen in die Füllung gekochte Kartoffeln sowie Zwiebeln.
Bei wässrigem Obst immer Semmelbrösel dazu
Doch im Grunde kann sich jeder seinen individuellen Strudel zusammenstellen. «Der Fantasie und den eigenen Vorlieben sind keine Grenzen gesetzt», ermutigt die Autorin. Für eher wässriges Obst und Gemüse empfiehlt sie zusätzlich Semmelbrösel zur Füllung, damit der Strudel nicht aufweicht.
Grundlage ist der Teig. Das kann ein selbst gemachter oder gekaufter Blätterteig sein. Auch ein Hefeteig ist möglich, dann gerät der Teig etwas dicker und erfordert mehr Füllung. Das Geheimnis des typischen Strudelteigs dagegen liegt darin, dass er hauchdünn ausgezogen wird. «Mehl, Wasser, Salz und etwas Öl werden so lange verknetet, bis der Teig schön geschmeidig ist und seidig glänzt», beschreibt Weishaupt.
Mit einem Stückchen Teig Loch im Strudel flicken
Nachdem der Teig eine Weile bei Zimmertemperatur geruht hat, wird er ausgerollt und vorsichtig über den Handrücken einer Faust gezogen, «bis man durch ihn eine Zeitung lesen könnte», erläutert sie. «Als ich das das erste Mal gemacht habe, dachte ich: „Das schaffe ich nicht!“ Und es kann natürlich passieren, dass er reißt.» Nicht entmutigen lassen und immer wieder probieren, lautet die Devise. «Und mit einem Stück Teig kann man sogar ein Loch im Strudel flicken.»
Strudel mit besonderer Note gibt es bei Dominik Klier. Er verkauft unter dem Namen Caspar Plautz mit Kompagnon Theo Lindinger Kartoffeln und Kartoffelgerichte auf dem Münchner Viktualienmarkt. Entsprechend arbeitet er Kartoffeln in den Teig für seinen süßen Strudel ein. «Man hat nicht so eine blättrige Note, sondern es ist eher eine knusprigere Geschichte, die innen trotzdem saftig-fluffig ist.»
Mit Kartoffeln gelingt geschmeidiger Strudelteig
Dafür nimmt man am besten mehlig kochende Kartoffeln, die man zum Beispiel einen Tag vorher gart und gut abkühlen lässt. Beim Kochen dürfen sie nicht aufplatzen, weil sie sonst zu viel Wasser ziehen. Etwa ein halbes Kilo Kartoffeln reicht für einen Strudel, sie werden durch eine Spätzlepresse gedrückt. Dazu kommen 100 Gramm Mehl, ein Ei und eine Prise Salz.
«Je nach Kartoffelsorte arbeitet man noch zwanzig, dreißig Gramm Mehl mehr ein, bis man einen geschmeidigen Teig hat, der nicht mehr am Schüsselrand klebt», erklärt Klier. Dieser Teig wird nicht ausgezogen, sondern mit dem Nudelholz einen halben Zentimeter dick ausgerollt und mit geschmolzener Butter bestrichen.
«Dann kann man ihn mit allen saisonalen Obstsorten füllen, die zur Verfügung stehen», ermutigt Klier. Er selbst ist ein großer Fan von Äpfeln und Zwetschgen mit Zimt und Zucker, dazu etwas Sauerrahm. Gebacken wird sein zusammengerollter Strudel etwa eine Stunde in einer mit zerlassenem Butterschmalz gefüllten Back- oder Auflaufform.
Und wieder zeigt der Strudel seine Vielfalt: Auch die Kartoffelteigvariante lässt sich laut Klier herzhaft füllen: «Mit Pilzen oder einem Rahmwirsing – alles ist möglich.» (dpa/Foto: Mona Lorenz/Leopold Stocker Verlag/dpa-tmn)