«Hört auf die jungen Leute.» Das sagt ausgerechnet der, auf den bislang alle hier gehört haben: Norbert Niederkofler. Er ist der einzige Dreisternekoch Südtirols.
Sein Restaurant St. Hubertus im Hotel Rosa Alpina in St. Kassian, gelegen am Dolomiten-Skigebiet von Alta Badia, gilt als Kaderschmiede für Kochtalente und als Pilgerstätte für Gourmets.
Der passionierte Skifahrer mit dem grauen Vollbart ist Anfang 60 und ans Aufhören denkt er nicht. An die Zukunft dagegen sehr wohl: an die des Planeten, die seiner Heimat und die der Genussregion Südtirol. Um Letztere macht sich der Starkoch die geringsten Sorgen. Weil die Alten viel erreicht haben und er den Jungen noch mehr zutraut.
In Weinkellern, in Küchen und auf Bauernhöfen vollzieht sich südlich des Brenners ein Generationswechsel – und ein Sinneswandel. Immer mehr Betriebe arbeiten nachhaltig und biologisch.
Die neue Generation muss es richten
Norbert Niederkofler freut sich darüber. Der höchst dekorierte Küchenchef der Region hat so gar nichts von der besserwisserischen Arroganz vieler erfolgreicher Leute. Im Gegenteil: Der Koch gibt sich bescheiden und mit Blick auf Umweltverschmutzung und Klimakrise auch selbstkritisch. «Meine Generation hat das verbockt, jetzt müssen es die jungen Leute richten», sagt er.
Zu diesen jungen Leuten zählen Talente wie Kevin Trafoier, der die Küche im Sternerestaurant Kuppelrain in Kastelbell von seinem Vater Jörg übernommen hat. Der Junior überzeugt in der Küche und der Senior wirbelt durch das Restaurant zusammen mit Sonya Egger-Trafoier, die im November 2021 vom Guide Michelin mit dem Sommelier Award in Italien ausgezeichnet wurde.
Auch Christoph Huber gehört zur jungen Garde. In seinem 2019 eröffneten Restaurant Zur Blauen Traube im Meraner Vorort Algund kocht er kreativ und radikal lokal. Wie viele andere hat Huber bei Niederkofler gelernt und dessen konsequente Konzentration auf Zutaten aus der Region verinnerlicht.
Der Vorreiter der regionalen Alpin-Küche
Man kann schon sagen: Niederkofler ist ein Vordenker unter den Spitzenköchen der Alpen. Nach seiner Ausbildung bei Starköchen wie Eckart Witzigmann, Jörg Müller und Alfons Schuhbeck war er in St. Kassian zunächst mit klassischer Haute Cuisine erfolgreich, bis er alles auf den Kopf stellte und seine Karriere aufs Spiel setzte.
Niederkofler wollte nicht mehr Luxusprodukte aus der ganzen Welt einfliegen lassen, um seinen Gästen dann vorzusetzen, was sie überall bekamen. So wurde Niederkofler zum Vorreiter der saisonalen und regionalen Alpin-Küche. «Cook the Mountain» lautet seine Devise und der Titel seines monumentalen 560-seitigen Kochbuchs im Großformat. Niederkofler setze das Prinzip der Regionalität vermutlich so konsequent um wie kein anderer in den Alpen.
Alle Zutaten bei Niederkofler kommen von rund 50 Höfen aus der Region. Er benutzt nicht mal Olivenöl. Die Kritiker waren anfangs skeptisch. «Ein Insider hat mich gewarnt, dass ich so den zweiten Stern, den ich damals hatte, verlieren würde», sagt Niederkofler. «Aber Südtiroler können ja Sturköpfe sein.»
Mit Sturheit, Konsequenz und unermüdlichem Streben nach Perfektion überzeugte er am Ende doch noch die Kritiker. 2017 zeichnete ihn der Guide Michelin schließlich mit drei Sternen aus.
In der Küche hat Niederkofler alles erreicht und die regionale Gastronomie geprägt. Die vielen Top-Restaurants rund um Meran und Bozen mit seinem St. Hubertus an der Spitze haben entscheidenden Anteil daran, dass Südtirol zur Genussregion aufstieg. Darauf könnte sich Niederkofler durchaus etwas einbilden. Stattdessen aber lobt er junge Küchentalente und «Winzer wie Alois Lageder, die alles angestoßen haben», wie er sagt.
Ein Winzer, der nach vorne denkt
Der Pionier des Südtiroler Weins residiert in Margreid an der Weinstraße im Südtiroler Unterland. Es ist der südlichste Ort der Region, in dem noch überwiegend Deutsch gesprochen wird. Am Fuße steiler Felswände herrscht fast schon mediterrane Atmosphäre.
Neben Weinreben und Obstbäumen prägen Palmen die Landschaft, die Oleander und Bougainvilleen scheinen noch prächtiger zu blühen als in den Gärten der imposanten Villen in Meran und Bozen. Nicht selten ist der Talkessel auf halben Weg zwischen Bozen und Trient im Sommer die heißeste Region Italiens – der Klimawandel, er zeigt sich auch hier. Darauf hat der Winzer aber längst reagiert und hitzebeständigere Rebsorten wie Cabernet Sauvignon angepflanzt.
Lageder ist keiner, der aus Prinzip an alten Traditionen festhält, obwohl seine Familie seit 1823 Wein produziert. Lageder ist im Weinbau genauso progressiv wie Niederkofler in der Küche.
Wie ein amerikanischer Weinmacher zum Wandel inspirierte
Ein Besuch des legendären amerikanischen Weinmachers Robert Mondavi hat Lageders Leben und die Südtiroler Weinlandschaft verändert. «Mondavi reiste 1981 durch Italien und da hatte ich das Glück, ihn zu treffen», erinnert sich der Südtiroler. «Der hat mich überzeugt, auf Qualitätsweine zu setzen.» Lageder besitzt ein weitläufiges Weingut, in dem ein Palais aus dem 13. Jahrhundert regelmäßig als Kulisse für den Bozen-Krimi der ARD dient.
Ehe Lageder vor rund 40 Jahren auf weiße Qualitätsweine setzte, wurden in Südtirol vor allem rote Zechweine produziert – wie der Vernatsch, der traditionell im Pergel-System angebaut wird. Dabei werden die Reben an Drahtbögen entlanggeführt, so dass sie zu einem dichten Blätterdach in der Mitte zusammenwachsen. Auf diese Weise entstehen schattige Wege zwischen den Rebstöcken.
Rund um den Kalterer See gibt es noch heute Pergel-Parzellen. Radfahrer und Wanderer durchstreifen sie auf kilometerlangen Routen rund um den wärmsten Badesee der Alpen.
Frisches Blut auf den Weingütern
Südtirol ist seit Jahrzehnten ein Ziel für Skifahrer, Alpinisten, Wanderer, Radfahrer und Golfer. Dass es auch zu einer Pilgerstätte für Weinkenner wurde, verdankt es nicht zuletzt Lageder. Inzwischen hat der Winzer das Zepter an die nächste Generation übergeben. Sohn Alois Clemens führt das Weingut, Tochter Helena kümmert sich um Marketing und Vertrieb.
Wie ihr Vater experimentieren sie gerne, dem biodynamischen Anbaukonzept aber bleiben sie treu. Sie verzichten auf Chemie im Weinbau und lassen nach der Lese Ochsen in ihren Weingärten grasen. «Ganz Südtirol sollte zu einer einzigen, großen Bio-Region werden», sagt Alois Lageder. Aber da spielen die Apfelproduzenten nicht mit, deren riesige Monokulturen dem Bio-Winzer ein Dorn im Auge sind.
Mit großer Freude sieht Lageder dagegen, dass viele Weingüter in diesen Jahren von top ausgebildeten, ambitionierten und nachhaltig denkenden jungen Leuten übernommen wurden. Wenige Kilometer nördlich von Margreid hat auch die Grande Dame des Südtiroler Weinbaus, Elena Walch, einen Generationswechsel vollzogen. In Tramin haben ihre Töchter Julia und Karoline das Weingut übernommen.
Die beiden führen die Philosophie ihrer Mutter fort, die früh und konsequent auf den Terroir-Gedanken gesetzt hat. Dabei werden die Reben in den Weinbergen nicht großflächig, sondern in kleineren Parzellen gelesen. Und sie werden im Keller dann auch separat vinifiziert. So entstehen sogenannte Lagenweine, die je nach Hangausrichtung, Boden und Mikroklima ganz unterschiedliche Charakteristiken entwickeln.
Das Glück der großartigen Lagen
Für Kenner sind Lagenweine von Elena Walch, wie «Castel Ringberg» oder «Kastelaz», wahre Meisterwerke. Wie viele andere Weinproduzenten Südtirols haben die Walchs unter den Weißweinen Gewürztraminer, Pinot Grigio, Chardonnay, Sauvignon Blanc und Riesling im Angebot und bei den Roten Lagrein, Merlot und Cabernet Sauvignon.
«Unsere Weine sollen ihre Herkunft widerspiegeln», sagt Julia Walch auf einer Tour durch die Vigna Kastelaz, einer Steillage oberhalb von Tramin. Es ist keine Frage: Große Weine werden durch perfekte Arbeit im Weinkeller gemacht. Die Basis jedoch sind großartige Lagen wie Kastelaz oder Ringberg.
Das weiß auch Walch: «Wir haben das große Glück, dass unsere Vorfahren einige der schönsten Weinberge Südtirols erworben haben.» Die junge Generation der Südtiroler Winzerinnen und Winzer hat nicht nur das Talent und die Experimentierfreudigkeit ihrer Eltern, sondern auch deren Bodenständigkeit geerbt.
Wie sich Südtirol zum Top-Weinbaugebiet gemausert hat, lernt man im Weinmuseum in Kaltern oder – genussvoller – bei einem Besuch in einem der mehr als 200 kleinen Weingüter der Region oder in einer der Genossenschaften.
Zu den besten zählt die bereits 1893 gegründete Kellerei Terlan. Ihr «Primo» gehört zu den wertvollsten Weißweinen Italiens, die bis zu 30 Jahre im Stahlfass gereiften Tropfen der «Rarity»-Linie zu den begehrtesten. Weine der Kellerei Terlan stehen längst nicht mehr nur in den Vinotheken in den Bozener Laubengängen und auf den Weinkarten Südtiroler Restaurants, sie sind auch international gefragt.
Der Wein gab den Restaurants Auftrieb
«Je besser die Südtiroler Weine wurden, umso mehr anspruchsvolle Genießer kamen in die Region und umso besser wurden auch die Restaurants», sagt Norbert Niederkofler. Dabei denkt der Starkoch, der aus dem Ahrntal ganz im Norden Südtirols stammt, nicht nur an die Top-Adressen, sondern auch an die vielen hervorragenden Gasthäuser und Berghütten.
Die Südtiroler Küche ist längst nicht mehr nur für ihre unendlichen Variationen köstlicher Knödel berühmt. Sie verzaubert inzwischen mit einem Mix aus alpiner Deftigkeit und italienischer Leichtigkeit. Und das auch noch zu einem oft sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Der Guide Michelin listet inzwischen Dutzende Empfehlungen in Südtirol auf – darunter ein Drei-Sterne-, drei Zwei-Sterne und 21 Ein-Sterne-Restaurants. Das ist viel für eine so kleine Region. Niederkoflers Fazit fällt entsprechend zufrieden aus: «Südtirol hat sich für Genießer wirklich extrem gut entwickelt.»
Und er hat keinen Zweifel, dass die junge Garde Südtirol umweltbewusst weiterentwickeln wird. Niederkofler fördert den Nachwuchs dabei, wo er kann – neuerdings sogar als Hochschullehrer. Die Freie Universität Bozen führt zum Herbst dieses Jahres einen mit Niederkofler entwickelten, neuen Bachelor-Studiengang rund um nachhaltige Gastronomie und Kellerwirtschaft ein. (dpa/Foto: Gianni Bodini/Alois Lageder/dpa-tmn)