Die erste Gabel schmeckt süß-fruchtig. Die zweite nach Lachs. Die dritte und vierte nussig, frisch und leicht scharf. Den Geschmack von Poke – einem traditionellen hawaiianischen Fischgericht – zu beschreiben, ist gar nicht so leicht. Denn in der Schale und auf der Zunge mischen sich so viele Komponenten, dass jeder Bissen anders schmeckt. Außerdem lassen sich aus dem rohen Fisch, dem Reis und vielen anderen Zutaten unzählige Kombinationen zusammenstellen.
Poke (ausgesprochen: „Poh-kay“) reiht sich neben Smoothie und Buddha Bowls ein. Eigentlich ist Poke aber kein neuer Essenstrend, sondern kommt von hawaiianischen Fischern, die es schon seit Jahrzehnten auf ihren Booten essen. Der frisch gefangene Fisch wurde zerteilt, mit Salz und Algen ergänzt – fertig. „Poke“ heißt übersetzt so viel wie „schneiden, zerteilen“. Von Hawaii aus eroberte Poke die Restaurantszene in den USA, bis es schließlich auch nach Europa kam.
In München hat Thomas Kruse mit seinem Geschäftspartner vor ein paar Monaten das Poke-Restaurant „Aloha Poke“ eröffnet. Vor zwei Jahren verbrachte er mit seiner Familie drei Monate auf Hawaii und entdeckte Poke in der Fischtheke eines Supermarkts. „Es sah ganz unspektakulär aus“, erinnert er sich. Der Geschmack begeisterte aber alle dermaßen, dass Poke zum Lieblingsessen der Familienmitglieder wurde.
In seinem Restaurant kommt vor allem eine Mischung aus Lachs und Thunfisch gut an, ergänzt von Edamame, Avocado, Mango, Frühlingszwiebeln und einer Honig-Soja-Soße. Dazu können die Gäste zwischen weißem und Wildreis wählen. Poke ist so aromatisch, dass Gewürze wie Salz und Pfeffer überflüssig sind.
Die Briten Guy Jackson und Celia Farrar haben gemeinsam ein Kochbuch über Poke geschrieben, bisher ist es nur auf Englisch erschienen. „Der Kern ist, die frischesten Zutaten zu finden, die es gerade gibt“, sagt Jackson. In ihren Rezepten haben sie das klassische Poke weiterentwickelt: Es gibt Dessert-Rezepte mit marinierter Mango sowie Anleitungen zu eingelegtem Mais oder Gurke, die man zum Fisch dazugeben kann.
Wer sich an das Gericht mit dem rohen Fisch erst einmal herantasten möchte, dem empfiehlt Jackson die „Spicy Salmon Bowl“: Auf ein Bett aus Naturreis wird ein Salat aus Gurken und Karotten gelegt. Frische Lachsfilets werden gehäutet und roh dazugegeben. Als Marinade schlägt er eine scharfe Mayonnaise vor, ergänzt mit Fischrogen und Chili: Dafür wird eine Mayo nach japanischer Manier mit Dashibrühe und Reisweinessig zubereitet und schließlich mit Zitronensaft und scharfer Srirachasoße gemischt. Fertig ist eine scharf-samtige Creme, die mit der üblichen Kleister-Mayo von Pommes rot-weiß nichts mehr zu tun hat.
Lachs ist grundsätzlich die beste Zutat für alle, die rohen Fisch in der Küche einschüchternd finden. „Den kennen die meisten zumindest geräuchert oder gedünstet“, sagt Jackson. Ansonsten rät er dazu, sich an einer Fischtheke beraten zu lassen, welche Sorten sich für den rohen Verzehr am besten eignen.
Auch in Berlin-Mitte hat im Mai dieses Jahres ein kleiner Poke-Laden eröffnet: „Ma’loa“. Der Inhaber Daniel Brandes will mit der Einrichtung ein Stück tropisches Flair rüberbringen: Das Menü steht auf Surfbrettern angeschrieben, es gibt eine mit Pflanzen überwucherte Wand und zwei große Holzschaukeln zum Abhängen. Auch Brandes hat Poke am Ursprungsort Hawaii kennen und lieben gelernt.
Das Konzept der beiden Poke-Restaurants in München und Berlin ist sehr ähnlich: Jeder Gast kann sich seine Schüssel selbst zusammenstellen. Es gibt verschiedene Reissorten, verschiedenen Fisch, frisches Obst, Gemüse, Algen, Nüsse und Samen. Und zum Schluss kommen selbstgemischte Soßen darüber, von süß bis scharf. Selbst für Vegetarier ist Poke geeignet. Sie können zwischen Tofu wählen oder gekochte Süßkartoffelwürfel nehmen. Wer keinen rohen Fisch mag, kann im Münchner „Aloha“ auch Truthahn essen. Am Ende folgen noch die Toppings: Das können Nüsse, Sesamsamen oder Kokoschips sein, aber auch Kimchi, Seealgensalat oder Masago (Fischrogen).
Die Tatsache, dass bei Poke Tausende Geschmackskombinationen möglich sind, hat aber auch etwas leicht Überforderndes. Was macht denn nun die perfekte Schüssel aus? Für Kochbuchautor Guy Jackson ist es das Zusammenspiel aus verschiedenen Texturen und dem „Umami“-Geschmack, also einer besonderen Form der Würzigkeit. Er liebt es, seine Schüsseln mit Macadamianüssen, etwas Seealgen und einer Chili aufzupeppen.
Wer statt Lachs lieber das feste Fleisch von Thunfisch mag, sollte es mit folgender Mischung probieren: Gelbflossenthunfisch wird in Würfel geschnitten und mit Zwiebeln, Frühlingszwiebeln, Sesamsamen und Salz gemischt. Alle Zutaten werden in eine Marinade aus Sesamöl, Tamari, frischem Ingwer, Sesamsamen und einer Prise Zucker eingelegt. Dann wird das Ganze auf frisch gekochtem Sushireis serviert. Guy Jackson und Celia Farrar schlagen außerdem vor, sauer eingelegte Babymaiskolben oder frittierte Lotuswurzel dazu zu kombinieren.
Egal, welche Mischung man wählt: Poke ist für all diejenigen interessant, die sich frisch und gesund ernähren wollen. Ob der rohe Fisch sich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Der Winter in den meisten europäischen Ländern hat ja wenig mit hawaiianischem Surferleben zu tun. Thomas Kruse ist aber optimistisch, dass Poke ein Konzept ist, das ganzjährig aufgeht: „Im Winter essen die Leute ja auch Sushi“. (dpa/Titelfoto: Alexander Heinl)