Die Klischees über ihre Region wurmen sie hier. «Die Mosel hat mehr zu bieten als Bustouristik und schlechtes Essen», sagt Adolph Huesgen. Der Winzer in achter Generation will an die Historie von Deutschlands ältester Weinregion anknüpfen. An die Antike, als das nahe Trier eine Weltstadt war, an die Zeit im 19. Jahrhundert, in der das kleine Traben-Trarbach eine ähnlich bedeutende Handelsstadt wie das französische Weinschwergewicht Bordeaux war.
Dafür öffnet er sogar die Türen der Villa Huesgen, Familiensitz, Firmensitz und Herz des Weingutes: In der Jugendstilvilla empfangen die Huesgens Gäste für Weinproben, im Garten veranstalten sie Jazz-Events mit Picknick im Park. «Qualität, gutes Essen, schönes Ambiente – das ist das Gesamtpaket», sagt der Winzer, der mit seinem herrschaftlichen Anwesen Teil der «Via Mosel» ist. Natürlich gibt es sie noch, die selbstbemalten Plastikschilder, die auf die nächste Straußwirtschaft hinweisen.
Aber die «Via Mosel» ist eines der Projekte, die den Ruf der einstigen Kegelclubdestination auf ein neues Niveau heben sollen. Via Mosel bündelt grenzüberschreitend Beispiele moderner und historischer Weinarchitektur entlang des Flusses in Frankreich, Luxemburg und Deutschland, ebenso wie vom Weinbau geprägte besondere Ortsbilder für Wanderungen, Fahrradtouren, Kellereibesichtigungen.
Pfirsiche mit gutem Ruf
Einen anderen Ansatz verfolgen die örtlichen Touristiker mit ihrem Fokus auf regionale Produkte: Weinbergpfirsich, Gin und Käse sollen neben dem Wein dabei helfen, die Mosel als «führende Genussregion Deutschlands» zu positionieren. Tatsächlich reisen manche Kunden von Familie Dreis aus Belgien und der Schweiz an, um eine der wohl traditionsreichsten Delikatessen der Terrassenmosel zu ergattern: den Roten Weinbergpfirsich, der dank des milden Klimas schon seit Jahrhunderten an der Mosel angebaut wird und gerade eine Renaissance erlebt.
Im Bremmer Calmont, der steilsten Weinlage Europas, kümmert sich Markus Dreis neben seinen Weinreben auch um 500 Obstbäume und erntet in Handarbeit jedes Jahr im September die herben, blutroten Früchte. Was nicht vorbestellt ist, verarbeitet seine Frau Meta für den kleinen Laden im Gewölbekeller zu Marmelade und Likör. Auch Tochter Kira hilft, wo sie kann, obwohl die Arbeit in den Steillagen bei Steigungen wie im Hochgebirge ein echter Knochenjob ist. «Aber die Mosel braucht ein bisschen frischen Wind», ist die 25-jährige Winzerin überzeugt. «Die Eiche-rustikal-Möbel müssen endlich raus aus den Ferienwohnungen.»
Ein unaufgeräumter Weinberg
Thorsten Melsheimer sieht das ähnlich. Vor mehr als 20 Jahren stellte er auf ökologischen Weinbau um, machte lange vor dem Boom aus den steilen Hängen der Familie rund um Reil an der Mosel ein zertifiziertes Bio-Weingut. «Ich bin jemand, der sehr viel blühen und wachsen lässt. Wenn Kollegen meinen Weinberg sehen, fragen sie immer: Wann räumst du hier mal auf?», erklärt er lachend seine Philosophie. Am liebsten lässt Melsheimer der Natur ihren Lauf. Über seinen Weinbergen kreisen Raubvögel, zwischen den Reben krabbeln und wühlen Insekten und Kleintiere. Bedrohte Schmetterlingsarten flattern herum. Melsheimers neueste Mitbewohner sind Ziegen, die auf natürliche Weise die Verbuschung in den Waldrandlagen auf Abstand halten und auch gleich Vogelfraß und Feuchtestau im Weinberg vorbeugen.
Wo Wein den Käse küsst
«Mal was anderes machen», das wollte auch Wolfgang Schultz-Balluff und rannte damit bei Kellermeister Thorsten Melsheimer offene Türen ein. Schultz-Balluffs Passion ist Käse und der soll in Weinregionen wie der Mosel natürlich bestmöglich zum Rebensaft passen. Also brachte der Käse-Affineur kurzerhand mal Kuh-, mal Schafsmilch mit dem lokalen Riesling zusammen und startete unter dem Motto «Wein küsst Käse» erste Reifeversuche im Weinkeller von Melsheimer. Schäferstück, Moselblümchen, Winzers Liebling: Inzwischen hat Schultz-Balluff neun verschiedene Sorten Riesling-Käse im Angebot. Jeder Laib wird von Hand aus regionaler Weide- und Heumilch gekäst und reift dann im alten Schiefergewölbe des Bio-Weinguts unter idealen Bedingungen: 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, ganzjährig Temperaturen zwischen 11 und 17 Grad.
Der schwarze Weinschimmel an den Wänden regelt das natürliche Raumklima, Bakterien und Hefen verströmen einen modrigen Geruch. Jeden zweiten Tag bürstet Schultz-Balluff den Käse mit einem Sud aus Salz und Wein ein, mindestens drei Monate lang, manchmal auch mehrere Jahre dauert es, bis der Käse den perfekten Partner für einen ausgesuchten Wein abgibt.
Besuch bei der Ginfluencerin
Solche Handarbeit ist das Kennzeichen vieler regionaler Produkte. Dem Gin von Silvia Zeimet sieht man das schon an der Flasche an. Die «Ginfluencerin», wie sich die 44-Jährige augenzwinkernd selbst gern nennt, entwirft nicht nur die Etiketten – teils mit dem Konterfei ihrer Großmutter – in Eigenregie. Zusammen mit ihrem Partner Thomas Franzen füllt sie auch jede der Flaschen selbst per Hand ab. Vier Sorten Gin haben die beiden in ihrer Ginheimer Destillery im Angebot. «Vor vier Jahren haben wir für unser Bed and Breakfast eine Veranstaltung geplant und konnten dafür nur schwer regionale Gins finden», erzählt Zeimet von den Anfängen.
Also produzierten sie kurzerhand selbst 50 Liter – für Gäste und Freunde. «Nach vier Wochen waren wir ausverkauft.» Das Besondere an dem Hochprozentigen ist die Heimat-Hommage: Mal kommen Himbeeren oder Weinbergpfirsiche der Nachbarn, mal Wacholder, Thymian und Walnüsse aus dem eigenen Hofgarten zum Einsatz. Viel darf ausprobiert werden, nur möglichst moseltypisch soll der «Ginheimer» aus dem – nicht zufällig beinahe gleichnamigen – Weinort Kinheim sein. (dpa/Foto: dpa)