Ob Cronut oder Rainbow Bagel: Warum kommen so viele Food-Trends aus New York? Und soll man da mitmachen? Bloß nicht, sagen die Restaurantkritiker, deren Magazin den Cronut einst entdeckt hat. Und berichten vom Job in einer der verrücktesten Food-Städte der Welt.
Eine Portion Tintenfisch hat Alan Sytsma am Vorabend gegessen, seine Frau nahm Pasta mit Fleisch und Brokkoliblättern. Adam Platt hingegen war in einem kleinen chinesischen Restaurant im New Yorker East Village. „Ich hatte so ziemlich alles, was auf der Karte steht. Vier verschiedene Arten von Nudeln, die waren ziemlich wässrig, aber für Nudeln aus dieser Region von China wohl ganz OK. Irgendwie fehlte ihnen der Kick. Dann hatte ich noch ein Glas milchigen Reiswein und das beste, was ich hatte, war eine Art Rindfleisch-Tatar. Und das allerbeste war der Frühlingszwiebel-Pfannkuchen – knusprig, salzig, wirklich gut.“
Sytsma und Platt erinnern sich immer ganz genau an das, was sie am Vorabend gegessen haben, denn das ist ihr Job. Die beiden sind Restaurantkritiker beim renommierten „New York Magazine“ – Platt für das Heft und der deutlich jüngere Sytsma für die Webseite – und essen sich Tag für Tag durch die berühmte Food-Szene der Millionenmetropole.
Aber so traumhaft, wie das auf den ersten Blick vielleicht klinge, sei das gar nicht, sagt Platt. „Wenn man ein professioneller Esser ist, muss man überall essen gehen, also geht man auch in New York häufig in mittelmäßige Restaurants.“ Der Kritiker macht den Job seit mehr als 15 Jahren, geht immer um 17.30 Uhr Abendessen („Das ist die einzige Zeit, zu der man in New York immer einen Tisch bekommt.“) und startet gleichzeitig ständig Diät-Versuche.
Es sei definitiv spaßiger, ohne Platt essen zu gehen, sagt Kollege Sytsma. „Alle Angestellten wissen, dass er Kritiker ist, also drücken sie ihren Rücken ein bisschen mehr durch, es kommt eine nervöse Energie aus der Küche und alles macht ein bisschen weniger Spaß. Das Essen ist natürlich großartig, oft kochen sie es sogar nochmal, weil sie so nervös werden. Aber es ist ja auch Arbeit, also muss man alles auf der Karte essen.“
Für jede Kritik besucht Platt das Lokal mindestens zweimal. Lange hat er auch versucht, sein Aussehen geheimzuhalten, dann aber aufgegeben. „Ich bin quasi drei Meter groß und mein Kopf ist so groß wie ein Kürbis – mich zu verkleiden funktioniert einfach nicht. Aber die Reservierungen mache ich immer noch unter einem falschen Namen und auch auf meiner Kreditkarte steht ein falscher Name. Aber in einer Stadt wie New York, wo so viel Geld für die Restaurants auf dem Spiel steht, suchen sie nach dir und finden dich.“
Rund 24.000 Restaurants gibt es der Stadtverwaltung zufolge in der Millionenmetropole, von Burger über Pasta bis Sushi, von tibetisch über isländisch bis peruanisch. Jeden Tag schließen Restaurants und öffnen neue. Für viele Experten ist New York die aufregendste Essens-Stadt weltweit. „New York bekommt immer noch die großen Namen, weil es hier so viel schwieriger ist als anderswo“, sagt Sytsma. „Es ist teurer, die Konkurrenz ist mörderisch, die guten Angestellten springen von Lokal zu Lokal und sind viel schwieriger zu bekommen. Alles ist schwieriger und die Menschen sehen es als einen Weg, ihr Erbe zu zementieren – dass sie es nach New York geschafft haben und hier Erfolg hatten.“
Auch das Publikum sei deutlich anspruchsvoller als anderswo. „Es gibt so viele Möglichkeiten und das Essengehen kostet ja auch viel Geld. Also lassen sich die Leute nichts gefallen und wenn was nicht funktioniert, dann ist es bald weg.“ Deswegen täten Restaurants auch alles, um Gäste und vor allem Kritiker zu beeindrucken, sagt Platt. Alle wichtigen Kritiker kämen in den ersten drei Monaten. Deren Fotos klebten an den Küchenwänden und über sie würden ganze Dossiers angelegt. Spezielle hoch ausgebildete Angestellte zögen von Restaurant zu Restaurant nur für diese erste Zeit. „Und in den ersten drei Monaten geben sie viel Geld für Zutaten aus. Danach hören sie auf, das teure Steak zu kaufen, der Koch geht in den Urlaub, der Besitzer auch. Aber in den ersten drei Monaten drehen sie durch.“
„Und ich hab keine Lust mehr, überall Gemüse auf der Karte zu sehen.“
Aber unter anderem wegen all dieses Einsatzes sei New York auch die Stadt, die immer wieder weltweite Restaurant-Trends produziere, sagt Sytsma. „Alles wird durchgespielt und was immer am Ende durchkommt, was immer New Yorker aussuchen, wird in die Welt gesendet. Wenn es in New York gemacht wird, dann ist es offiziell Trend.“ So wie Ramen-Burger, Rainbow-Bagel (Foto oben) oder Cronut – alles Essens-Trends, die in New York entstanden. Das „New York Magazine“ gehörte 2013 zu den ersten Medien, die über Cronut – eine Mischung aus Croissant und Donut – berichteten, weil Erfinder Dominique Ansel selbst dort anrief und sein Produkt anpries. „Wir schrieben darüber und das Ding explodierte“, erinnert sich Sytsma. „Es kam so gut an bei den Menschen, weil sie die Möglichkeit sahen, etwas ganz Neues auszuprobieren und dafür nicht 300 Dollar auszugeben, sondern nur 6. Also drehten alle durch und stellten sich in die Schlange. Andere Leute sahen diese Reaktion und jetzt sieht man, wie sie das Spiel austricksen.“
Der Cronut wurde zur Mutter aller Food-Trends. „Jeder Koch, der heute ein neues Restaurant eröffnet, denkt sich ein oder zwei Gerichte aus, von denen er hofft, dass sie auf Instagram viral gehen“, sagt Platt. „Wir nennen das Instagram-Köder.“ Einige von diesen Gerichten seien durchaus lecker, sagt Sytsma. Aber er und sein Kollege Platt stimmen trotzdem überein: „Esst solche Sachen nicht, macht keine Fotos davon, schenkt ihnen keine Aufmerksamkeit. Verschwendet nicht eure Zeit damit, einen Cronut zu bekommen.“
Was denn wirklich derzeit Trend in der New Yorker Food-Szene sei? „Food Halls“, sagt Platt, also überdachte Ansammlungen von Essensständen oder kleinen Restaurants. Restaurants, die mit der Qualität ihres Service punkten wollen, sagt Sytsma. Und was ist out? „Burger, Schweinebauch, Speck“, sagt Platt. „Und ich hab keine Lust mehr, überall Gemüse auf der Karte zu sehen.“
(dpa/Titelfoto: Christina Horsten/dpa)