Belgien ist Bierland. Doch auch der belgische Wein hat eine lange Tradition. Rund 100 Weinbauern füllen mehr als eine Million Liter Wein jährlich ab. Im Herver Land wurden auf einer Fläche von vier Hektar in diesem Jahr rund 20.000 Reben gepflanzt. 320 Mitglieder der Genossenschaft „Vin du Pays de Herve“ haben bislang ein Kapital von 360.000 Euro zusammengetragen, damit auch der Osten des Landes künftig als Weinregion wahrgenommen wird. Die erste Abfüllung soll im Herbst 2022 erfolgen.
Für Fleisch, Cidre, Käse, Sirop und Bier ist das Herver Land schon bekannt. Und bald kommt auch noch Wein hinzu. Ortstermin in Thimister-Clermont. Unweit des Restaurants Le Charmes-Chambertin bewirtschaftet die Genossenschaft „Vin du Pays de Herve“ eine von vier Parzellen. Lanciert wurde das Projekt vor einigen Jahren von mehreren Weinenthusiasten. Seit September 2017 ist die Genossenschaft anerkannt und spätestens seit diesem Tag nahm die Idee Fahrt auf.
Inzwischen stehen auf vier Grundstücken in Hombourg, Aubel und Crawhez, die der Genossenschaft langfristig zur Verfügung gestellt wurden, vier verschiedene Rebsorten. „Zehn Hektar sind mittelfristig das Ziel“, sagt Michel Schoonbroodt, der als geschäftsführendes Verwaltungsratsmitglied die Triebfeder ist. Als Winzer fungiert an seiner Seite Philippe Dufourni, der sein Handwerk an der Mosel erlernt hat. Er vertraut pilzresistenten Rebsorten wie Johanniter, Solaris, Souvignier gris und Muscaris, die hierzulande weitgehend unbekannt sind und daher bei so manchem Verbraucher Skepsis hervorrufen. Doch mit ihrer Weinqualität wollen sie diese zerstreuen. Spätestens 2021 soll die erste Ernte eingefahren werden, 2022 die ersten 20.000 Flaschen auf den Markt kommen. „Wir streben in der Anfangsphase einen Schaumwein sowie zwei oder drei verschiedene Weißweine an“, erklärt Dufourni. Der Baelener hat in Eupen die Schule besucht und spricht daher hervorragend Deutsch. Ohnehin ist man bei der Genossenschaft darum bemüht, die Interessenten in den drei Sprachen des Dreiländerecks zu bedienen, wie die Internetseite belegt. Rotwein würde hierzulande auch funktionieren, wie die Produkte von „Vin du Liège“ beweisen, so Dufourni, doch wolle man die Sache nicht allzu überstürzt angehen und die Entwicklung abwarten. „Wir wollen ein Produkt auf den Markt bringen, das regional ist, biologisch hergestellt wird und eine ansprechende Qualität hat“, unterstreicht Schoonbroodt die Ambitionen für sich und seine Mitarbeiter.
Vier Pilzresistente Rebsorten im Einsatz
Pilzresistente Rebsorten sind vor allem für Biowinzer wichtig, die auf den Einsatz von Chemikalien auf ihren Pflanzen weitgehend oder sogar vollständig verzichten wollen. In der Fachsprache heißen sie auch kurz PiWi – also Pilzwiderstandsfähige. Rund 28.000 Euro kostet ein bepflanzter Hektar. Die Luxemburger Rebschule Carlo Faber, eine feste Größe auf dem internationalen Markt, übernahm diese Arbeit im Herver Land. Doch ehe der erste Wein abgefüllt wird, benötigt die Genossenschaft noch ein Gebäude mit einer erforderlichen Kellertechnik. „Hierfür haben wir noch zwei Jahre Zeit, inklusive Bauantrag, was eine große Herausforderung ist“, weist Schoonbroodt auf das knappe Zeitfenster hin. Dieses Gebäude, das im Herver Land seinen Platz finden soll, wird auch touristisch genutzt werden: „Vom Rebstock bis zur Flasche“, lautet dann die Devise bei den Weinproben für Gäste. Außerdem sollen Mitgliedern Weiterbildungen geboten werden. Rund eine Million Euro will die Genossenschaft zusammentragen. Der Wert einer Aktie beträgt 500 Euro bei maximal zehn Aktien pro Mitglied. 100.000 Euro zuzüglich der Anschaffung eines Traktors und der beiden Gehälter wurden bislang investiert.
40 aktive Mitglieder in der Genossenschaft
Noch viele Fragen sind in der Ausarbeitung. Beispielsweise, welcher Korken am Ende verwendet wird. Mit dieser und anderen Fragen beschäftigen sich vier Arbeitsgruppen, in denen 40 Mitglieder sich aktiv einbringen. Die Flaschenpreise werden bei 10 bis 14 Euro liegen. Gerne schauen die Herver in Richtung Provinzhauptstadt. Mehr als 16 Hektar bewirtschaft dort die Genossenschaft „Vin de Liège“, eines der größten Weingüter in der Wallonie. 30 Hektar sollen es werden. Diese Genossenschaft zählt mehr als 2.000 Mitglieder und sammelt inzwischen Medaillen bei verschiedenen Weinwettbewerben. Sie war bei der Wahl der Rebsorten mitentscheidend. „Was bei ihnen funktioniert, müsste auch bei uns klappen“, sind unsere beiden Gesprächspartner überzeugt. Die Produktion von „Vin de Liège“ ist meistens ausverkauft.
„Klima wie in der Champagne vor 30 Jahren“
Der Weinbau in Belgien hat trotz seiner geringen wirtschaftlichen Bedeutung eine lange Tradition. Im Jahr 1895 veröffentlichte Joseph Halkin die bisher einzige komplette historische Erhebung des belgischen Weinbaus. Demnach wurden die ersten Rebflächen bereits im neunten Jahrhundert angelegt. Vom Potenzial her ist man im Herver Land überzeugt, den Qualitätsansprüchen der Feinschmecker gerecht zu werden. Bei der Wahl der Standorte orientierte man sich an einer Studie des Ingenieurs Vincent Diest aus dem Jahre 2015. „Er hat die Höhe, die Sonnenausrichtung, den Hang, die Niederschläge, und vor allem die Grundzusammensetzung, um die interessantesten Grundstücke unserer Region auszuwählen, berücksichtigt. Dieses Potenzial möchten wir entwickeln“, sagt Schoonbroodt. Belgien liegt nördlich der Weinbaugrenze. Deshalb könnten Temperatur und Sonnenbestrahlung ein großes Hindernis hierzulande bedeuten. „Der Frost kann uns gefährlich werden“, weiß Dufourni. Und dennoch herrscht Optimismus vor: „Das Weinbau-Klima ist mit dem der Champagne vor ungefähr 30 Jahren zu vergleichen“, so Schoonbroodt. Wenn die Qualität der Erzeugnisse in vier Jahren diesem Vergleich standhält, dann dürfte dem Erfolg der Genossenschaft nichts im Wege stehen. (hegen)