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Zu Besuch bei Paul Bocuse

Paul Bocuse (91)  wird häufig als Grandseigneur der Grande Cuisine bezeichnet. Der Franzose gilt als einer der besten Köche des 20. Jahrhunderts. Sein Restaurant L’Auberge du Pont de Collonges wird seit 1965 ohne Unterbrechung mit drei Michelin-Sternen gewürdigt. 1989 wurde er vom Gault&Millau zum „Koch des Jahrhunderts“ ernannt. Jürgen Jordans, der von 2003 bis 2013 am Zentrum für die Aus- und Weiterbildung des Mittelstandes in Eupen unterrichtete und fast zehn zehn Jahre für die Koch- und Serviceausbildung verantwortlich war, stattete dem Gourmet-Tempel unweit von Lyon kürzlich einen Besuch ab und ließ „Apéro – Essen und Trinken in Ostbelgien“ folgenden Beitrag zukommen.

Bericht aus einer Zeitmaschine

Es ist eine Art kulinarisches Weltkulturerbe, eine Art Wallfahrt zum Altar des Königs der Sterneköche, in das von außen recht kitschig wirkende Gebäude an den Ufern der Saône. Der Großteil der Gäste betritt mit einer gewissen Ehrfurcht diesen wirklich einzigartigen Gourmet-Tempel, in dem Paul Bocuce  selbst aus Alters- und  Krankheitsgründen nur noch äußerst selten persönlich erscheinen kann. Die Reservierung war per Telefon ohne Weiteres möglich, die Begrüßung freundlich und professionell. Die Begleitung zum Tisch wie in alten Zeiten.

Die Tische im Obergeschoss sind im Gegensatz zur unteren Ebene angenehmer, da die Räume dort kleiner sind und dadurch intimer wirken. Zum Aperitif drei offene Champagner zur Auswahl, sie kommen in idealer Temperatur ins Glas, eingeschenkt am Tisch, aus der bestellten Flasche! Die Speisekarte offeriert drei verschiedene Menüs zu Spitzenpreisen, mit Zahlen, welche zu den Zeiten, als der französische Franc noch im Umlauf war, übrigens die gleichen gewesen sein müssen… Selbstverständlich kann auch à la Carte gegessen werden, also gar kein Problem nur einen Hauptgang und ein Dessert zu essen, so die Aussage des Chef de Rang an unserem Tisch.

Die enorm große Weinkarte mit nur wenig, mikroskopisch kleinen Positionen an Weinen, welche nicht aus Frankreich kommen, lässt überhaupt keine Wünsche offen. Die Preisspanne ist überraschend, sie geht in der Tat von preisgünstig bis astronomisch, jetzt ohne eine Zahl zu nennen. Ein Wein des Weingutes Guigal – ein Viognier von der nördlichen Rhone – mit einer leichten Holznote, wird uns ein würdiger Begleiter des Abends. Die Wahl des Menu Classique ist eine gute Wahl, denn dieses Menü enthält auf jeden Fall den großen Käsewagen und das opulente Dessertbüffet, welches in jedem Raum des Hauses separat angerichtet wird.

Anstatt der üblich gewordenen Spielereien mit den Amuse Bouches gibt es eine eiskalte Tomaten-Gazpacho…. eine Ouvertüre ohnegleichen, sofort ist klar, hier sind die alten klassischen Geschmacksverstärker ohne Rücksicht, mit allervollster Absicht und ohne Hemmungen eingesetzt worden. Jetzt bekommen wir die erste Ahnung von dem, was uns erwartet.

Unbeschreiblich perfekt die nachfolgenden Vorspeisen, ein Hechtkloß mit Flußkrebsen in einer Sauce Nantua, der Kloß im Geschmack und in seiner Konsistenz nicht zu übertreffen. Dann die Sauce: Eine Bechamelsauce mit süßer Sahne eingekocht, dann mit Krebsbutter aufgeschlagen, garniert mit Krebsschwänzen. Mein Gegenüber hellauf begeistert über das Cassolette vom Hummer à l’armoricaine, reichlich Hummerfleisch in einer sehr aufwendigen Sauce, welche mit Cognac flambiert, mit Weißwein deglaciert und wieder mit Butter und Sahne verfeinert wird.

Paul Bocuse Fotos: reporters/Photo News

Paul Bocuse Fotos: reporters/Photo News

Zwei Hauptgänge – zwei Klassiker: Filet vom Rind à la Rossini, mit der berühmten getrüffelten Sauce Périgueux, den Garzustand der Lendenschnitte – auf Nachfrage des Chefs de Rang so gewünscht – dass kein Fleischsaft in die Sauce laufen sollte – und so kam es auch an den Tisch. Unglaublich auf den Punkt gegart, das Fleisch mit einer Scheibe bester Gänseleber belegt. Der Bratensatz wieder deglaciert, als Demiglace mit Trüffelsaft verkocht und mit dünnen Trüffelscheiben serviert. Grandios.

Auf der anderen Tischseite vom Service vorgelegt, das Fricassée vom Bresse-Huhn, hier die Brust im Ganzen serviert, in einer Morchel-Sahne-Sauce, die Morcheln in Butter gedünstet, mit Demiglace aufgefüllt und mit Sherry vollendet. Dazu à la Minute zubereitetes Baby-Gemüse und gebutterter schwarzer Camarque-Reis. Nein, besser geht es nicht.

Im Finale: Der große Käsewagen, endlich ohne den sonst üblichen Schnickschnack wie Weinbeeren, Nüsse oder Salat. Zum Ende das unglaublich vielfältige, bis an den Geschmackshorizont reichende Dessert-, Goumandises-, Petit Fours- und Schokoladenbüffet.

Der Executif-Chef Monsieur Christophe Müller, der Schatten von Paul Bocuse, zeigte uns zum Abschluss die Küche. Er gilt als der Drahtzieher an den Herden. „Wer kocht eigentlich, wenn sie nicht da sind?“, war einmal eine Frage an Paul Bocuse: „Der Gleiche, der kocht, wenn ich da bin“, lautete seine Antwort. Das ist Müller, der übrigens aus dem Elsass stammt mit seiner über 30-köpfigen Küchenbrigade.

Fazit: Der gesamte Ablauf bewegt sich in einem mit sehr großem Personalaufwand betriebenem Rahmen. Die Speisen haben sich seit Jahrzehnten kaum verändert und so werden logischer Weise die klassischen Zubereitungs- und Garverfahren pertinent praktiziert. Es gibt keine Striche oder Punkte auf den Tellern, keine essbaren Blüten oder sonstige modern-zeitaufwendige Tellerdekorationen à la Kandinsky. Alle Gerichte kommen in der optimalen Temperatur und im passenden Moment wird angerichtet. Die verwendeten Produkte sind alle erstklassisch, pure Aromen und intensiver Geschmack lassen die Handschrift des größten Küchenchefs Frankreichs erkennen. Alles wirkt wie eine große klassische Opern-Inszenierung und bewegt sich in einer Art Retro-Filmkulisse, manches erscheint längst überholt und unmodern, was aber den gewissen Reiz ausmacht. Sicher wird in tausend anderen, besternten Häusern weltweit längst anders gekocht, an diesem Traditionshaus gehen die Moden spurlos vorüber. Wir hatten das Vergnügen in dieser Zeitmaschine kurz mitzureisen, was uns aber so gefallen und so gut geschmeckt hat, dass wir diese Maschine noch einmal besteigen wollen.

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