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Die Essenz von Steinen: Wie Mixology die Barkultur revolutioniert

Schon der Welcome Drink im hip-mondänen BKK Social Club in Thailands Hauptstadt hat es in sich – sprichwörtlich. Argentinischer Wermut, Rosmarin, Chrysanthemen, Zitrusnoten und karbonisiertes Wasser verbinden sich zu einem eleganten Aperitif. Cocktail-Kultur im Jahr 2022, das ist so viel mehr als Mai Tai, Mojito oder Margarita. Das Kreieren und Zubereiten von Drinks ist zu einer Wissenschaft geworden, die mit innovativen Rezepten und Konzepten experimentiert. «The sky is the limit – alles ist möglich», sagt Philip Bischoff, ein Meister auf dem Gebiet der Mixology. So heißt heute Barkunst auf höchstem Niveau.

«Aber natürlich gehören auch die Klassiker weiterhin dazu, und jeder Bartender sollte sie beherrschen», sagt der gebürtige Berliner, während er einen sogenannten Milongas mixt, eine von ihm entwickelte Gin-Tonic-Variante mit argentinischen Nuancen. Knallrot schimmert sie im bauchigen Glas, die Farbe des Tangos.

Bischoff gilt bereits als Legende unter den Mixologen. Einst erfand er die Hotelbar Amano in Berlin-Mitte neu, wechselte später in die Manhattan Bar nach Singapur, die seit Jahren zu den besten der Welt zählt. Dort standen dem 41-Jährigen mehr als 100 Eichenfässer für seine Cocktails zur Verfügung, deren Ingredienzen sich bei der Lagerung nicht nur harmonisch verbinden, sondern durch das Holz auch eine rauchige Note bekommen. «Das waren Wahnsinnsjahre», erinnert sich Bischoff. Seit kurzem mischt er Bangkok auf.

Kunstvolle Cocktailkreation in der Opium Bar. Bartender kreieren heute innovative Cocktails mit Aromen, die unvergessliche Geschmackserlebnisse bieten – und Zutaten, die man in Drinks nicht vermuten würde. Mixology ist gleichzeitig Kunst und Wissenschaft.

Die Feinschmecker-Metropole am Chao Phraya spielt in der globalen Bar-Szene vorne mit, ebenso wie andere asiatische Top-Destinationen, speziell Singapur und Hongkong. «16 der „World’s 50 Best Bars“ befinden sich mittlerweile in Asien und haben inzwischen auch Bangkok mit dem Mixology-Virus infiziert», sagt Christoph Kiening, der weltweit Konzepte für Hotels und Bars entwirft und sich jedes Jahr mehrere Monate in der kultigen Barszene Bangkoks umschaut.

Fragt man Experten aber nach dem weltweiten Trendsetter in puncto Mixology, so heißt es wie aus einem Mund: London. Die Connaught Bar im eleganten Viertel Mayfair schaffte es in der Liste der besten Bars der Welt 2020 und 2021 sogar ganz an die Spitze.

Das mixologische Rad dreht sich derweil weltweit mit atemberaubender Geschwindigkeit. «Bartender spielen heute mit kostbarem Equipment», erzählt Bischoff. Rotovaps, Sonicprep, Molecular Mixology – so lauten einige der avantgardistischen Namen der Maschinen und Verfahren, mit denen der perfekte Drink ins Glas gezaubert wird. Es wird extrahiert, re-destilliert, zentrifugiert, karbonisiert und geklärt.

«Der Mixologe wird immer mehr zum Koch», ist Christoph Kiening überzeugt. Es reiche schon lange nicht mehr, einfach Spirituosen, Sirups & Co. zusammenzugießen. «Um neue Aromen und Texturen – und somit neue Wow-Erlebnisse – zu entwickeln, muss der Mixologe in die Küche, sich mit Sous-Vide, Rotationsverdampfer und Fermentation auseinandersetzen.»

Das geht so weit, dass etwa in der berühmten Bamboo Bar im Mandarin Oriental Hotel die Essenz aus Steinen extrahiert wird. «Summit» heißt der ungewöhnliche Drink. Gin, Pastille, Salbei und Granit sind die Zutaten. Passend wird der Cocktail mit einem gefrorenen Stein als Eiswürfel serviert. Der mit dem Stein-Extrakt vermengte Gin schmeckt frisch, geradlinig, weniger scharf als die mineralfreie Variante.

«Vor 20 Jahren hat es all das noch nicht gegeben, auch weil die Maschinen, über die wir heute verfügen, noch gar nicht existierten», sagt Head-Barkeeper Chanakan Thaoanon, der die Cocktails maßgeblich mitentwickelt. Auch Essenzen von Kaviar, dem Holz von Apfelbäumen oder Jasminreis werden verarbeitet und mit Aromen wie Kaffir Lime, Koriander oder Kokosnusstee kombiniert.

Da der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind, geben viele Barkeeper ihren Menüs ein Motto. «Den Gast auf eine Reise schicken», nennt das Philip Bischoff – mit Fusionen, die ihn überraschen.

„Summit“, eine Cocktailkreation aus der Essenz von Steinen, serviert in der Bamboo Bar im Mandarin Oriental Hotel. Gin, Pastille, Salbei und Granit sind die Zutaten, in der Mitte liegt ein Stein als Eiswürfel.

So sind thailändische Ingredienzen und Essenzen Hauptbestandteil der saisonalen Cocktailkarte der Bamboo Bar unter dem Titel «Elements». Die Drinks sind thematisch in die fünf typischen Landschaften Thailands gegliedert, vom Regenwald (eingearbeitet werden hier etwa wilder Honig, erdiger Pilzkaffee oder tropische Passionsfrucht) bis hin zu Inseln (mit Blue Curacao als Farbe des Meeres, weißem Mandelsand oder grünem Seetang).

Die Bar Vesper im schicken Stadtteil Silom – die ebenfalls auf der Liste der 50 besten Bars in Asien steht – hat sich hingegen «Contrasts» zum Thema genommen. «Dirty – Clean» heißt eine der Schöpfungen von Bar-Manager Federico Balzarini, bei der er klaren Gin, Fino Sherry, Zitrone und Passionsfrucht mit schwarzem «Charcoal», also Aktivkohle, mischt.

Und wohin dreht sich das Mixology-Read als nächstes? «Es gibt noch viel Luft nach oben, da sind uns Barkeepern keine Grenzen gesetzt», sagt Philip Bischoff. Der Trend gehe aber dahin, «leichtere Cocktails zu entwerfen, also etwa Wermut-basierte Drinks», so der Deutsche.

Ähnlich sieht das Kirill Samoilenko, der neue Manager der Bamboo Bar. «Low ABV» sei das Schlagwort, also Kreationen, die nicht ganz auf Alkohol verzichten, aber deutlich weniger Prozent haben. Denn immer mehr Gäste wollten gesund leben, aber trotzdem nicht auf einen hochwertigen Cocktail verzichten.

Das wird die Runde machen in der riesigen Mixology-Community. Denn in der Szene kennt man sich und tauscht sich aus – und probiert auch gern am freien Abend die Cocktails der Konkurrenz. Die internationale Jagd nach immer neuen Möglichkeiten, an Geschmäcker und Aromen heranzukommen, ist jedenfalls eröffnet. (dpa/Fotos: Carola Frentzen/dpa)

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