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Kanadische Kost: Bei den Hummerfischern auf den Magdalenen-Inseln

Nachts um drei Uhr ist Rush Hour im Hafen der Insel Grande-Entrée. Im Frühsommer geht um diese Zeit am Horizont schon langsam die Sonne auf, Geländewagen säumen die Anlegeplätze der Boote. Männer gehen mit energischen Schritten zu Kuttern, andere schaufeln Eis auf Fische in den Kisten an Bord. Es ist kalt, auch im Sommer kann es hier im Osten Kanadas frostig werden. Den Männern macht das nichts. Sie fahren hinaus aus dem größten Hafen der Îles de la Madeleine, eine halbe Stunde, eine ganze, manche noch länger. Wohin genau, verrät niemand. Betriebsgeheimnis.

Die Männer holen Fallen ein, mit denen sie Hummer aus dem Golf des Sankt-Lorenz-Stroms fangen. «Zehn Wochen dürfen wir Hummer fischen», sagt John Gee, der mit seinem Kapitän auf einem Kutter lostuckert. Von Mitte Mai an ist Saison. Jede Nacht fahren die Seeleute dann hinaus in den Golf, der zwischen den kanadischen Provinzen Québec, Prince Edward Island und Neufundland liegt. Das Wasser hier ist salzig wie das Meer, es kommt aus den Großen Seen und fließt schließlich in den Atlantik. Der Sankt-Lorenz-Strom, der drittgrößte Fluss Nordamerikas, kommt von Südwesten. Bis hinter der Stadt Québec führt er Süßwasser, an der Île d’Orléans wird das Wasser brackig und dann schließlich salzig.

«Die Saison ist für die Fischer extrem anstrengend»

Während die Hummerfischer ihre Boote präparieren, legt ein vergleichsweise großes Schiff am Kai an. Dessen Kapitän war unterwegs, um Schneekrabben zu fangen. Er ist nicht recht zufrieden mit dem, was er aus dem Wasser gezogen hat. «Jeder Tag ist anders», sagt John Clark. Wortkarg ist er, aber freundlich, wie fast alle Madelinots, so die französische Bezeichnung für die Inselbewohner. Viel Zeit hat Clark nicht. Später geht er wieder aufs Boot, zu den Hummerfallen. «Die Saison ist für die Fischer extrem anstrengend», erzählt Gilles Lapierre, der seit seiner Kindheit auf dem kleinen Archipel lebt und neun Generationen seiner französischen Vorfahren zurückverfolgen kann. «Die Hummer- und die Krabbensaison überschneiden sich, mit manchem Boot wird nach beidem gefischt.» Schlaf ist in dieser Zeit nebensächlich. John Clark wird nur kurz in sein farbenfrohes Holzhaus fahren, sich zwei Stunden hinlegen und dann wieder ablegen.

Die Meeresfrüchte sind eine gute Einnahmequelle. Und die Lizenzen sind rar. «Meist werden sie innerhalb der Familie weitergegeben», sagt Lapierre. «An den Sohn, manchmal auch an die Tochter.» Wenn doch mal eine Erlaubnis frei wird, kann sie bis zu 500 000 kanadische Dollar kosten, rund 330 000 Euro. Trotzdem gibt es lange Wartelisten. Der Hummer findet Abnehmer weit über Kanada hinaus, denn das Wasser ist kalt und klar, und die Schalentiere gibt es in allen Größen, die der Markt fordert. Das war nicht immer so auf den Magdalenen-Inseln, die zu zwei Dritteln von frankophonen Kanadiern und zu einem Drittel von anglophonen bewohnt sind. Lange gab es keine Quoten, jeder konnte fischen, was und wann er wollte. So blieben die Fallen irgendwann leer, das Wasser war überfischt. «Hummer hatte man aber zu der Zeit noch nicht auf dem Speiseplan», erzählt Lapierre aus seiner Kindheit. «Das war damals ein Arme-Leute-Essen.» Heute stehen Hummer, Kabeljau und Heilbutt auf den Speisekarten der Inselrestaurants ganz oben.

Räucherfisch bekommen Besucher der Magdalenen-Inseln in der Räucherei Le Fumoir d’Antan. Foto: Martin Fiset/Quebec Original/dpa-tmn+

Le Fumoir d’Antan, eine Räucherei auf Havre aux Maisons, verarbeitet indes bis heute Heringe aus der Provinz New Brunswick. Die Fische kommen nicht zahlreich genug vor um die Magdalenen-Inseln, um den Bedarf der Räucherei zu bedienen. «Auch unser Vater hat die Fische schon aus der Nachbarprovinz bezogen», erzählt Benoit Arseneau, einer der drei Brüder, die das Geschäft heute weiterführen.

Geräucherte Fische sind nicht das einzige, das auf den Inseln hergestellt wird. Eine Käserei gibt es und eine Brauerei, die von zwei Frauen ins Leben gerufen wurde: À l’Abri de la Tempete. Élise Cornellier Bernier und Anne-Marie Lachance wollten ein gutes Bier machen, das nicht so schmeckt wie das Einheitsgebräu der großen Anbieter. Cale-Sèche heißt ihr Helles mit Meersalz und Zitrone. Zudem brauen sie wechselnde Sorten, die zumindest befremdlich sind für die Gaumen von Biertrinkern, die das Reinheitsgebot gewohnt sind. Die zwei Unternehmerinnen gehen außerdem gerne Kitesurfen.«Man kann morgens schauen, wie der Wind steht, und sich dann einen Strand zum Kiten aussuchen», sagt Steve Mantha. Sechs der sieben Hauptinseln sind mit einer Straße verbunden, die siebte – Île d’Entrée – ist nur mit der Fähre zu erreichen. Mantha kennt alle Strände, jeden Sommer verbringt er auf den «Maggies», wie die Einheimischen ihre Inseln auch nennen. Wind herrscht immer mehr als genug. Wenn der Kanadier seinen Besuchern das Kiten erklärt, zieht es den Anfängern manchmal die Füße weg.

Weniger windanfällig sind Ausflüge mit dem Seekajak auf den Golf hinaus. Am Ufer der Inseln gibt es Höhlen in den Sandsteinklippen, in denen man schwimmen kann – mit Neoprenanzug und Helm. Das Wasser ist auch im Sommer ziemlich kalt, und die Strömung kann in den Höhlen stark sein – daher die Sicherheitskleidung. Wer am Golf des Stroms paddelt, schwimmen geht oder sich an den Strand legt, wird bis in den frühen Nachmittag hinein immer wieder vom Tuckern lauter Dieselmotoren aufgeschreckt. Denn die Südspitze der Île de la Grande Entrée ist die Rennstrecke der Hummerfischer.

Im Hafen wird der Fang direkt in Kühllaster verladen. Viele Tonnen holen die Fischer in der kurzen Saison aus dem Wasser. Nur am Sonntag ist Ruhe. Und Ende Juli ist die Hummersaison vorbei. (dpa/Foto: D. Lafond/Quebec Original/dpa-tmn)

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