Deutschland beheimatet so viele Zwei-Sterne Restaurants wie nie zuvor. 43 Häuser werden jetzt in dieser Kategorie gelistet, darunter gleich sieben Neuzugänge, wie aus dem Guide Michelin 2020 hervorgeht. Zudem bekommt Berlin mit dem «Rutz» unter der Leitung von Küchenchef Marco Müller (Foto oben) erstmals ein Drei-Sterne-Restaurant. Insgesamt zählt die Hauptstadt nun 24 Sterne-Adressen.
Alles in allem zeichnet der aktuelle Restaurantführer 308 Häuser aus, eins weniger als im Vorjahr. Die Sterne sollten eigentlich bei einer großen Feier am Dienstag in Hamburg verliehen werden. Wegen des Coronavirus wurde die Veranstaltung jedoch abgesagt.
Bittere Nachrichten gab es für die abgebrannte «Schwarzwaldstube» in Baiersbronn. Dem Traditionshaus, das sich 27 Jahre lang in Folge mit drei Sternen schmücken konnte, wurden diese aberkannt. Auch die benachbarten «Köhlerstuben» verlieren ihren erst im vergangenen Jahr erkochten einen Stern. Beide Häuser waren im Hotel «Traube Tonbach» untergebracht, in dem im Januar ein Feuer ausgebrochen war. Sie sollen nun mit einem ehrgeizigen Zeitplan bis 2021 wieder aufgebaut werden.
«Wir sind einfach zu dem Entschluss gekommen, dass wir Restaurants, die nicht mehr existieren, nicht mehr empfehlen können. Da würden wir uns unglaubwürdig machen», sagt der Direktor des Guide Michelin für Deutschland und die Schweiz, Ralf Flinkenflügel. «Die Sterne sind ja nicht aus Qualitätsgründen gestrichen worden, sondern weil ein großes Unglück geschehen ist.»
Insgesamt verloren 30 Häuser aus ganz Deutschland ihre Sterne. Entweder weil sie geschlossen haben, die Qualität abgenommen hat oder weil sie ein neues Konzept verfolgen.
Trotz des Wegfalls im Schwarzwald bleibt die Zahl der Drei-Sterne-Restaurants bundesweit konstant bei zehn, da das Berliner «Rutz» neu hinzugekommen ist. Küchenchef Müller habe in nur kurzer Zeit «eine sagenhafte Entwicklung vollzogen», erklärt der internationale Direktor des Guide Michelin, Gwendal Poullennec. Die Gerichte seien voller Finesse. «Auch in ihrem ausgeprägten Bezug zur Natur heben sie sich deutlich ab.»
Mit dem Zugewinn für Berlin haben nun erstmals Deutschlands drei größte Städte ein Drei-Sterne-Restaurant. In Hamburg und München konnten «The Table Kevin Fehling» und das «Atelier» die Top-Auszeichnung halten.
Gleich 43 Restaurants würdigten die Tester mit zwei Sternen, so viele wie noch nie. Darunter sind sieben Neuzugänge. So konnte das in Berlin-Neukölln ansässige «Coda Dessert Dining» innerhalb nur eines Jahres einen zweiten Stern hinzugewinnen. In lässigem Ambiente serviert René Frank eine laut Michelin «unverwechselbare und kreative Küche auf Basis moderner Patisserie-Techniken» – und verzichtet dabei konsequent auf industrielle Produkte.
Kann Berlin inzwischen mit anderen europäischen Metropolen mithalten? «Sicher noch nicht mit London oder Paris. Aber die Entwicklung, die Berlin genommen hat in den letzten 10, 15 Jahren ist schon bemerkenswert», sagt Flinkenflügel.
Ebenfalls neu aufgestiegen in die Zwei-Sterne-Kategorie sind in Bayern das «Les Deux» in München und «Obendorfers Eisvogel» in Neunburg vorm Wald. Außerdem das «Olivo» in Stuttgart, das «Gustav» in Frankfurt, das «bianc» in Hamburg sowie das «Jante» in Hannover. «Wir verfolgen, dass die guten Küchenchefs sich dort niederlassen, wo die Nachfrage ist und das konzentriert sich immer mehr auf die Großstädte», sagt Flinkenflügel. Und dann gebe es natürlich traditionell die Regionen in Baden-Württemberg und Bayern, in denen die Spitzengastronomie über viele Jahre gewachsen sei.
Was sind die Trends, die sich abzeichnen? Zum einen natürlich mehr vegetarische und vegane Angebote sowie regionale und saisonale Zutaten. «Die Spitzenrestaurants werden immer bunter und immer vielfältiger», erklärt Flinkenflügel. Es gebe keinen Einheitsbrei, sondern eine schöne Vielfalt.
Bereits seit Jahren setzt sich zudem das «Casual Fine Dining» durch. Der Besuch eines Sterne-Restaurants sei längst keine formelle und elitäre Angelegenheit mehr, sagt Poullennec. Und in der Tat, gerade in den Städten sieht man bisweilen mehr Tätowierungen als Krawatten.
255 Häuser können sich über einen Stern freuen, wobei ein Haus im Kleinwalsertal in Österreich liegt – aber eine Straßenverbindung nach Deutschland hat. Ein Restaurant, das die Tester besonders beeindruckt habe, sei das «mural» in München, das jetzt mit einem Stern ausgezeichnet wurde. «Dort kochen zwei junge Küchenchefs, die keine 25 Jahre alt sind», sagt Flinkenflügel.
48 Sterne-Restaurants in NRW
Insgesamt 48 Sterne-Restaurants gibt es in Nordrhein-Westfalen. Das ist eines mehr als der Guide Michelin im vergangenen Jahr aufzählte. Während sich in der Topliga der Restaurants mit zwei und drei Sternen nichts änderte, meldete der Gourmetführer am Dienstag in seiner Ausgabe für 2020 bei den Ein-Sterne-Lokalen einige Bewegung: Vier verloren die Auszeichnung fünf neue kamen dazu.
Neu in dieser Liga spielt der «Setzkasten» – ein Restaurant, das neben Lebensmittel-Regalen im Untergeschoss eines Düsseldorfer Supermarkts liegt. Küchenchef Anton Pahl stieß am Mittag mit zwei Freunden auf die begehrte Auszeichnung an. «In zwei bis drei Monaten werde ich es erst realisieren», sagte er über den Michelin-Stern. Münster hatte zuvor keines und nun gleich zwei Lokale dieser Klasse, das «Coeur D’Artichaut» und das «ferment». Neu im Bund der Häuser mit Stern sind auch «astrein» in Köln und «Hannappel» in Essen.
Mit zwei Sternen kann sich weiterhin das «Rosin» in Dorsten von Fernsehkoch Frank Rosin schmücken. In dieser Klasse wird auch in zwei Lokalen in Köln gekocht, im «Le Moissonnier» und im «Ox & Klee». An der Spitze der Topgastronomie in NRW bleibt das «Vendôme» in Bergisch Gladbach. Das Restaurant unter der Leitung von Joachim Wissler ist das einzige Drei-Sterne-Haus im bevölkerungsreichsten Bundesland.
Die insgesamt 44 Ein-Sterne-Küchen in NRW sind nicht nur in großen Städten vertreten, sondern auch abseits oder am Rand der Ballungsgebiete, etwa in Euskirchen, Gummersbach oder Schmallenberg. Aber auch Düsseldorf hat zehn Lokale in der Klasse zu bieten und Köln neun. Mit den beiden Zwei-Sterne-Häusern hat die Domstadt die Nase vorn im Wettstreit der Nachbarstädte. Aachen kommt auf zwei, Essen auf drei und Bonn auf zwei ausgezeichnete Küchen. «Vorkoster» Fernsehkoch Björn Freitag hat mit seinem «Goldenen Anker» in Dorsten weiter einen Stern, und auch Nelson Müllers «Schote» in Essen bleibt gelistet.
Vier Restaurants verloren die Auszeichnung. Diese sind «Kaspars» in Bonn, «Nenio» in Düsseldorf, «am Kamin» in Mülheim an der Ruhr und «Heldmann» in Remscheid. Teils wurde das Konzept geändert oder die Häuser wurden geschlossen. Bundesweit haben 308 Restaurants Michelin-Sterne, es gibt zehn mit drei, 43 mit zwei und 255 mit je einem Stern. (dpa/Foto: dpa)
Die Deutschland-Ausgabe des Guide Michelin 2020 listet zehn Restaurants in Deutschland mit der Höchstwertung von drei Sternen auf:
– NEU: «Rutz» in Berlin
– «Restaurant Bareiss» in Baiersbronn (Baden-Württemberg)
– «Atelier» in München (Bayern)
– «The Table» in Hamburg
– «Restaurant Überfahrt» in Rottach-Egern (Bayern)
– «Aqua» in Wolfsburg (Niedersachsen)
– «Vendôme» in Bergisch Gladbach (Nordrhein-Westfalen)
– «Waldhotel Sonnora» in Dreis (Rheinland-Pfalz)
– «Victor’s Fine Dining» in Perl (Saarland)
– «GästeHaus Klaus Erfort» in Saarbrücken (Saarland)
Wie wird ein Restaurant zum Sterne-Haus?
Die Inspektoren des Guide Michelin kommen unangekündigt und probieren die Menüs. Alle Tester sind fest angestellt, zahlen für die Gerichte und bewerten nach einheitlichen Maßstäben. Manchmal geben sie sich nach dem Essen zu erkennen, sprechen mit dem Koch und werfen einen Blick in die Küche. Alle Inspektoren haben eine Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe. Bewertet werden die Qualität der Produkte, die fachgerechte Zubereitung sowie der Geschmack, die persönliche Note, das Preis-Leistungs-Verhältnis und die gleichbleibende Qualität. (dpa)