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Marc Nüchtern zum Horeca-Neustart: „Das halbe Geschäftsjahr ist weggebrochen“

Bis zu 450 Personen kann das Atelier in den verschiedenen Örtlichkeiten auf dem 10.000 Quadratmeter großen Gelände gleichzeitig bewirten. Hinzu kommen Außer-Haus-Aktivitäten wie private Caterings oder Messeveranstaltungen. Da größere Feiern wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen werden, bietet das Haus ab dieser Woche von mittwochs bis samstags neben dem üblichen Mittagstisch auch vorübergehend einen Abendservice an. Marc Nüchtern trafen wir am Wochenende zu einem Gespräch.


Wie erleichtert waren Sie am vergangenen Mittwoch, als Sie die Neuigkeiten aus Brüssel vernahmen?

Nun ja: Man kann eigentlich nicht von Erleichterung reden, da unser Geschäft die großen Events sind und diese voraussichtlich erst im August wieder anlaufen werden. Wir starten jetzt mit dem Restaurant, was eigentlich nicht unser Kerngeschäft ist. Der Mittagstisch ist für uns eher eine Werbung als eine finanzielle Grundlage. Er macht rund zehn Prozent unseres Jahresumsatzes aus. Wir verdienen unser Geld mit größeren Veranstaltungen. So werden Hochzeiten frühestens ab August wieder bei uns über die Bühne gehen, im September und Oktober werden weitere folgen. Und dann fangen normalerweise die Firmenfeiern an. Ob diese in diesem Jahr wie gewohnt stattfinden, ist eher unwahrscheinlich, da wir schon einige Absagen erhalten haben. Deshalb wäre es jetzt zu früh, von einer Erleichterung zu sprechen.


Reichte die Vorlaufzeit von einer Woche, um Ihren großen Betrieb wieder hochzufahren?


Ja, wir wussten ja ungefähr, was auf uns zukommen würde, aber wir fahren ohnehin nicht voll hoch, weil unsere Infrastruktur nur zu einem Bruchteil ausgelastet ist. Für mich war aber klar, dass ich nicht die Bereitschaft haben werde, in Plexiglasscheiben zu investieren. Wenn ich hierfür noch einen fünfstelligen Betrag hätte ausgeben müssen, dann wäre die wirtschaftliche Rentabilität nicht gegeben gewesen und wir hätten auf eine Öffnung verzichtet. Aufgrund des großen Saales und der großzügigen Terrasse können wir die Distanzregeln problemlos einhalten.


Warum hat die Gastronomie in Ihren Augen so lange warten müssen, ehe sie wieder arbeiten durfte?


Natürlich konnte ich nicht ganz nachvollziehen, warum ein Wochenmarkt schwarz vor Menschen ohne Masken sein kann und diese alle kreuz und quer über das Gelände laufen, und es bei uns nicht möglich war, dass vier Menschen an einem Tisch gemeinsam essen. Natürlich habe ich gut reden, da es in meinem Umfeld keine Betroffenen gab. Andere, in deren Familien es Covid-Opfer zu beklagen gab, sehen es vielleicht grundsätzlich anders und empfinden, dass die Gastronomie womöglich zu früh wieder öffnet.


Wie schwer war die Krise für Sie? Wie haben Sie als Unternehmer reagiert?


Am Anfang haben wir uns nicht allzu viele Gedanken gemacht, da wir davon ausgegangen sind, dass die Sache in sechs Wochen durch ist. Je länger die Zeit dauerte, um so schwieriger wurde es. Alle 14 Mitarbeiter sind zur Kurzarbeit übergegangen und rund 40 Studenten sind nicht gebraucht worden. Wir hoffen natürlich, dass sie danach zurückkommen werden. Wann? Ich hoffe im August, wenn alles klappt. Wir haben zum Teil unsere Kredite verschoben, aber die Fixkosten wie zum Beispiel Telefon, Strom, Lohnbüro, Sabam, Sozialbeiträge oder Versicherungen sind zwar zum Teil geringer geworden, aber mussten bezahlt werden. Die laufenden monatlichen Kosten belaufen sich in unserem Fall auf rund 25.000 Euro. Diese sind einem noch bewusster geworden und werden vielleicht auch jetzt noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Man sollte auch nicht vergessen, dass unsere Regierung die kleinen und mittelständischen Unternehmen 2018 und 2019 zu Investitionen animiert hat, indem man als Betrieb auf neue Anschaffungen 20 Prozent zusätzliche Abzüge erhalten konnte. Das haben wir im Atelier allein 2019 mit rund 300.000 Euro genutzt, um unsere Effizienz zu erhöhen und einen noch besseren Service anbieten zu können. Vor diesem Hintergrund lag dieses Jahr natürlich nichts mehr auf der hohen Kante, um eine unvorhersehbare Krise locker zu überstehen. Ja, und da Sie mich es ohnehin wahrscheinlich fragen werden: Zwischenzeitlich hatte ich auch mal Existenzangst.

Sie erhalten wie ein Ein-Mann-Betrieb eine Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro. Erachten Sie das als logisch?

Als Betrieb mit 14 Mitarbeitern hätten wir uns gewünscht, dass die Regierung dies nicht pauschalisiert, sondern nach dem Umsatz des jeweiligen Betriebes und des beschäftigten Personals ausrechnet, so wie man es in Deutschland gemacht hat. 5.000 Euro sind bei unserem Volumen viel zu wenig, und selbst dieses Geld haben wir bis heute noch nicht erhalten.

Was würden Sie sich von der Politik nun wünschen?

Die am Wochenende beschlossene Mehrwertsteuersenkung auf sechs Prozent für das Essen und die Softgetränke ist natürlich nicht verkehrt. Es hätte uns natürlich noch mehr geholfen, wenn dies auch für den Wein gegolten hätte. Von den hochprozentigen Getränke will ich in diesem Zusammenhang nicht reden. Man darf nicht vergessen, dass verschiedene Waren wie Fisch, Fleisch und Gemüse zum Teil um 20 bis 30 Prozent teurer geworden sind. Ich hoffe nicht, dass die Kunden erwarten, dass wir die Preise senken. Wir sind froh, diese beibehalten zu können.


Sie gehörten zu den Häusern, die ein Take away-Angebot unterbreitet haben. Inwiefern hat Ihnen dieses in dieser schwierigen Zeit geholfen?


Also das Catering machte einen Umsatz im Monat Mai von rund 16.000 Euro aus. Das sind rund acht Prozent des normalen Umsatzes. Damit konnten wir kleinere Rechnungen begleichen und Waren, die zum Teil bereits eingekauft war, verwenden. Moralisch war es eine gute Sache und deshalb danken wir auch allen, die uns unterstützt haben und regelmäßig bei uns bestellt haben, auch wenn wir manchmal Gästen absagen mussten, weil mit Samira, Stefan und unserem Lehrmädchen Melissa einfach nicht mehr möglich war. Für dieses Geschäft war es gut, dass die Grenzen relativ spät geöffnet wurden, sonst wäre der Zuspruch auch schon früher rückläufig gewesen.

Marc Nüchtern im Kräutergarten des Ateliers


Wie kommen Sie künftig mit den Vorschriften klar? Glauben Sie, alle Regeln zu kennen?


Ja, die Regeln kennen wir, und bei 10.000 Quadratmetern dürfte der Abstand kein Problem sein. Die Gäste müssen sich jetzt noch trauen, zu kommen, und wir hoffen, dass die Sonne auch bald zurückkommt. Hinter uns liegt das sonnigste Frühjahr seit Jahren, das für die Gastronomie in Belgien ein Segen gewesen wäre. Die Masken für die Kellner werden sicherlich nicht angenehm sein: zum einen für das Personal selbst und zum anderen für die Atmosphäre. Ab dem 1. Juli werden dann Hochzeiten mit 50 Personen stattfinden können, doch haben alle aktuell noch Angst und ihre Feiern verschoben. Die Kunden sagen uns, dass sie nicht gerne mit Mundschutz bedient werden möchten.


Welche Vorgabe erachten Sie nicht als sinnvoll?


Wegwerftischdecken. Diese werden wir nicht einsetzen. Warum soll ich jetzt Wegwerfprodukte kaufen, wenn ich Tischdecken habe? Ich habe mit unserem Partner Hola gesprochen. Man hat mir garantiert, dass die Tischdecken keimfrei zurückkommen. Mir ist es wichtig, hiesige Unternehmen zu unterstützen, das gilt auch für den Produkteinkauf. Sie dürfen nicht vergessen, wie viele Betriebe der Gastronomie zuliefern.

Stephan Heinen leitet die Küche des Hauses.

Rechnen sich künftig noch kleinere Lokale mit weniger Gästen durch die Vorgaben?


Schwierig. Einige Betriebe können sich nicht ausbreiten, sondern müssen die Anzahl Gäste reduzieren, aber die Fixkosten bleiben dieselben. Wir hoffen, dass wir wenigstens 50 Prozent des normalen Umsatzes im Restaurantgeschäft erreichen werden, aber das reicht leider nicht, um das ganze Personal aus der Kurzarbeit zurückzuholen. Wenn wir überrannt werden sollten, wovon ich nicht ausgehe, dann würden wir natürlich mehr Mitarbeiter einsetzen. Mit einem Viertel des Teams gehen wir das Ganze an. Wir müssen schauen, dass Geld hereinkommt. Es ist nicht unser Hauptgeschäft und auch nicht der Wunsch unseres Personals, aber wir haben keine andere Möglichkeit. Sobald wir davon weg können, werden wir das tun. Wir haben die Karte verkleinert und angepasst, um die Kosten so gering wie möglich zu halten.


Sie haben eine Reihe von Großveranstaltungen absagen müssen. Lässt sich da noch etwas für das Geschäftsjahr 2020 reparieren?


Also unser Mittagsgeschäft können wir definitiv nicht mehr aufholen. Bei den Festen sind sehr viele annulliert worden, werden aber punktuell nachgeholt. Aber den Umsatz, den wir verloren haben, können wir unmöglich kompensieren. Das halbe Geschäftsjahr ist uns praktisch weggebrochen. Von April bis Ende September ist für uns die Hauptzeit. Für Hochzeiten bleiben uns noch die Monate August, September und vielleicht noch ein wenig im Oktober. Wir hoffen, dass die Kommunionen und Firmungen noch stattfinden können und diese gefeiert werden.


Erwarten Sie einen großen Ansturm in den ersten Tagen?


Im Moment erwarten wir keinen großen Ansturm, da sich zunächst auch noch herumsprechen muss, dass wir abends öffnen. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht und müssen schauen, wie das Angebot angenommen wird. Das Telefon schellt zwar wieder regelmäßig, aber überrannt werden wir sicherlich noch nicht. (hegen/Fotos: David Hagemann)

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