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Trinken auf Japanisch: So wird Sake zum Geschmacksfeuerwerk

Der Ruf, der ihm vorauseilt, ist wenig schmeichelhaft: fade, schmeckt nach nichts, ist das nicht dieser Pflaumenschnaps? Sake hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Schade eigentlich. Denn richtig getrunken und mit den passenden Speisen kombiniert, eröffnet sich einem eine komplexe Aromenwelt.

Die Fehleinschätzung zu Sake liegt vielleicht schon in der deutschen Übersetzung begründet: «Reiswein». Dabei hat das traditionsreiche Getränk in der Herstellung gar nichts mit Wein zu tun – gebraut wird es ähnlich wie Bier.

Um Sake herzustellen, wird Reisstärke in Zucker umgewandelt. Ein Pilz leitet dabei den Gärprozess ein, nach einigen Tagen erhält man fermentierten Reis. Dieser wird mit frisch gedämpftem Reis und Wasser gemischt und bildet die erste Maische. Nach mehrfacher Wiederholung und anschließender Reifung entsteht der Sake. Der Alkoholgehalt liegt bei etwa 15 Prozent.

Ein in Miso marinierter schwarzer Kabeljau: Dazu passt ein Glas «Tenranzan Koten»-Sake mit Toffee-Geschmack. Fotos: Zacharie Scheurer/dpa-tmn

Motoko Watanabe ist Inhaberin und Sake-Sommelière im japanischen Restaurant «Zenkichi» in Berlin-Mitte. Das Restaurant liegt im Keller eines unspektakulären Bürogebäudes, von außen weist kein Schild auf diesen besonderen Ort hin.

Im «Zenkichi» kommt der Sake direkt aus Japan

Dabei ist schon der Weg zum Tisch ein Erlebnis: Der Gast passiert als erstes den schrankgroßen, begehbaren Kühlschrank. Dort lagern derzeit 1.500 verschiedene Flaschen Sake. Watanabe importiert den Sake direkt aus seinem Ursprungsland, mit bis zu 20 Brauereien arbeitet sie zusammen. Darunter sind viele kleine und lokale Unternehmen.

Die Brauer zur Zusammenarbeit zu bewegen, war nicht immer einfach: «Ich musste persönlich dort hinreisen, manchmal zwei- bis dreimal, bis wir ins Geschäft kamen», erinnert sie sich. Der Grund: Sake ist für die Japaner kein Produkt, das sie bereitwillig aus der Hand geben. «Die Hersteller wollen wissen, wo der Sake ausgeschenkt wird, mit welchen Speisen er kombiniert wird. Sie möchten ein Feedback zu ihrem Produkt», erklärt Watanabe.

Erst das passende Essen lässt Sake aufblühen

Die Spezialität des Zenkichi ist aber nicht nur die große Bandbreite an Sake, sondern vor allem die Paarung des Getränks mit ausgewähltem Essen. «Das passende Gericht ist entscheidend, um den Geschmack und das Aroma des Sake aufblühen zu lassen.» Wie ein Schlüssel, der ins richtige Schloss passt.

Was Watanabe damit meint, erschließt sich einem in den kommenden Stunden: Los geht es mit einem Aperitif, einem Sake aus fermentiertem Reis der Marke «Ibi White». Er sieht milchig aus, schmeckt süß und fast cremig. Dazu serviert der Küchenchef Pfirsich, der mit Pulver aus grünem Tee besprenkelt wurde. «Am besten erst einen Schluck Sake in den Mund nehmen, dann einen Bissen vom Essen und anschließend noch mal einen Schluck Sake am Gaumen entfalten lassen», rät Watanabe.

Sake kann nach Lychee oder Toffee schmecken

Und tatsächlich: Der Sake ist geschmacklich alles andere als eine Ein-Zimmer-Wohnung. Das Essen eröffnet einem weitere Türen in seine Geschmackswelt. Zusammen mit der Süße des Pfirsichs schmeckt der Sake nach Lychee. Seine Textur ist ganz weich.

Und so hält jeder Gang eine Überraschung bereit. Der gegrillte Schwarze Alaska Kabeljau wird mit einem «Tenranzan Koten» von 2017 gepaart. Es ist eine Mischung aus verschiedenen Vintage-Sake. Zusammen mit dem Fisch verblüfft er einen mit seinem Toffee-Geschmack. Dabei sind die Sake-Aromen niemals laut und aufdringlich – eher verspielt und träumerisch.

Wer Sake in einem Restaurant serviert bekommt, kann natürlich nicht viel falsch machen. Aber wie tastet sich der Laie heran? «Wer Weißwein liebt, dem empfehle ich einen Sake mit einem fruchtigen, blumigen Aroma», sagt Watanabe.

Manche Sorten hätten einen leicht erdigen, reiferen Geschmack. In Europa kämen aber sogar diese gut an, weil es viele Weintrinker gibt, die an herben Rotwein gewöhnt sind. Ansonsten gilt: einfach verschiedene Sorten durchprobieren und auf den eigenen Geschmack vertrauen.

Süßer «Sparkling-Sake» erleichtert den Einstieg

So macht es auch Yoshiko Ueno-Müller. Sie ist ebenfalls ausgebildete Sake-Sommelière, betreibt einen Online-Shop für Sake und bietet Geschmacksverkostungen an. «Beim Trinken muss ein Bild im Kopf entstehen», sagt sie. Als Einstieg kommen fast alle gut mit einem süßen «Sparkling Sake» zurecht – ähnlich einem Glas Champagner.

Doch zu welchen Speisen passt Sake denn nun? «Eigentlich zu allen. Sake kämpft nicht mit dem Essen, sondern unterstützt es eher», sagt Ueno-Müller. Kocht sie sich eine Spaghetti Carbonara, trinkt sie ein Gläschen eines fruchtigen Sake dazu. «Mit einem dezenten Mirabellenaroma, das perfekt mit der Umami-Note der Carbonarasoße harmoniert.»

Die Häppchen-Platte des Menüs im «Zenkichi»: Zu den verschiedenen japanischen Köstlichkeiten wird ein Glas «Ryusei Bekkaku»-Sake getrunken. Sein Geschmack erinnert an Honigmelone.

Selbst zum Dessert passt Sake

Wer Meeresfrüchte oder Sashimi isst, begleitet dies am besten mit einem fruchtigen Sake mit Zitrusnoten. Auch zu Käse passt Sake perfekt: Denn der Reiswein hat Umami-Noten, der auf den Umami-Geschmack im Käse trifft.

Zu Fleischgerichten passt ein Sake im Kimoto-Style am besten. Dieser Sake enthält Milchsäure, die einen joghurt-ähnlichen Geschmack im Mund entstehen lässt. Die Säure harmoniert perfekt mit dem Fleischgeschmack. Im «Zenkichi» wird Wildschweinrücken zu einem solchen Sake serviert.

Und selbst zum Dessert – das die Japaner traditionellerweise nicht am Ende eines Menüs essen würden – gibt es den passenden Sake. Das gefrorene Mousse aus Schwarzem Sesam wird von einem Schlückchen eines goldfarbenen Sake gekrönt. Der Geschmack erinnert an Rosinen in Rum.

Sake wird in Japan wieder entdeckt

Übrigens: Nicht nur in der westlichen Welt muss sich Sake mit Vorurteilen herumschlagen. Auch im Herkunftsland hatte das Getränk lange Zeit einen schweren Stand: «Es war definitiv kein cooles Getränk. Eher etwas, was deine Großeltern getrunken haben», erzählt Watanabe. Das habe sich aber in den letzten Jahren gewandelt. Mehr und mehr junge Menschen interessierten sich nun für Sake, Blogs seien entstanden.

Corona hält nun neue Herausforderungen parat: «Sake wird vor allem mit anderen zusammen getrunken, bei Feiern oder im Restaurant. Das findet aber gerade nicht statt in Japan», sagt Watanabe. Die Zahl der Brauereien werde durch die Pandemie höchstwahrscheinlich zurückgehen.

Warm oder kalt: beides geht

Bleibt noch eine letzte Frage: Wie trinkt man denn Sake richtig? Am besten warm? Daran scheiden sich die Geister. Motoka Watanabe trinkt ihn im Winter ganz gerne warm. Der Sake bekomme dadurch ein erdiges, nach Pilzen schmeckendes Aroma. Dazu wird der Sake im Wasserbad erwärmt, etwa drei Minuten.

Früher sei Sake immer nur warm serviert worden, erinnert sich Ueno-Müller. Heute mache man das nicht mehr unbedingt. Die perfekte Trinktemperatur für Sake liegt zwischen 5 und 10 Grad. So kann er sich in der Hand erwärmen und seine Aromenvielfalt entwickeln.

Am Schluss des Sake-Menüs ist der Gaumen fast etwas erschöpft von so viel Geschmacksfeuerwerk. Eines hat der Reiswein damit eindrucksvoll widerlegt: dass er nicht mehr ist, als ein langweiliges, farbloses Gesöff. (dpa/Foto: Zacharie Scheurer/dpa-tmn)

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