Gourmet Tipps & Tricks

Simple Sattmacher: Die DDR-Küche in der heutigen Zeit

„Die Ketwurst ist aus“, erklärt die Bedienung. Es ist 12 Uhr mittags, und überlaufen ist das Restaurant „Volkskammer“ am Berliner Ostbahnhof nicht gerade. Die in einem weichen langen Brötchen steckende Brühwurst mit Ketchup – die DDR-Antwort auf das Hot Dog – aber, sie ist aus. Doch der Gast beschwert sich nicht, er schwenkt einfach um – also eine Karlsbader Schnitte, bitte!

Es ist nicht so, dass die Küche der DDR für ihre ausgefeilte Kulinarik bekannt war. Dennoch haben manche Gerichte von damals überdauert. Die mit Schinken und Ananas belegte und danach mit Käse überbackene Toastscheibe, Toast Hawaii oder eben Karlsbader Schnitte genannt, zählt dazu. Auch Falscher Hase, Jägerschnitzel, Würzfleisch (auch Ragout fin), Wurstgulasch, Soljanka. Oder das Dessert Kalter Hund, eine Sünde aus Keksen, Kakao und Kokosfett.

Mit Käse überbackenes Ragout, Toastscheiben und Zitrone: Unter den Vorspeisen ist das Würzfleisch ein Klassiker. Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn

Essen spricht auch Gefühle an, beschwört Erlebtes hinauf, erlaubt gedankliche Reisen in die Vergangenheit. Das ist das Geschäftsmodell der „Volkskammer“, was sich schon an der Einrichtung zeigt. Ein Schild am Eingang erklärt, dass man „platziert“ wird. Es wird die Preisstufe 3 ausgewiesen – in der DDR war das ein mittleres Preisniveau.  An einer Wand hängt ein Bild des Palastes der Republik, dem längst abgerissenen Prunkbau in Berlin-Mitte. Es sind vergangene Zeiten, die hier wieder aufleben sollen. Vor allem natürlich beim Essen.

Darum geht es Aurick Günther. Das Essen sei fast genau wie in der DDR, nämlich „schlicht, einfach und gut“, sagt der Geschäftsführer und Koch. „Es hat geschmeckt, und man wurde satt.“ Tatsächlich hat man nach dem Essen keinen Hunger mehr. Die Speisen sind simpel gehalten – wer auf der Suche nach raffinierten Gerichten ist, ist hier falsch. Oder wie es die Autorin Jutta Voigt in ihrem Buch über das Essen und Leben in der DDR an einer Stelle auf den Punkt bringt: „Der Geschmack des Ostens war bestimmt von der Utopie der Gleichheit, (…). Es ging um das große Kollektiv der Esser, die satt werden sollten, nicht um den Geschmack von ein paar bourgeoisen Gourmets.“

Dafür lassen sich die Speisen leicht nachkochen, zum Beispiel Jägerschnitzel. Was nach Fleisch klingt, ist allerdings nur eine Jagdwurst-Scheibe. „Sie wird paniert wie ein Schnitzel“, erklärt Günther, „mit Mehl, Ei und Semmelmehl“. Dann mit Butterschmalz in der Pfanne braten. Die Soße werde aus Tomatenmark und Ketchup gemacht, es kommen noch geschälte Tomaten dazu, Salz, Pfeffer und Butter. Zu dem Gericht gibt es Spirelli-Nudeln. „Die werden heiß mit Butter und Petersilie abgeschmeckt“, sagt Günther.

Kochen in der DDR war auch davon geprägt, dass es nie alles gab. Immer wieder mangelte es an bestimmten Lebensmitteln. „Es herrschte wirklich keine Not in der DDR – es herrschte an allem Mangel, und es gab nicht immer alles“, sagt Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des Berliner DDR-Museums in einem Internetvideo. „Man musste anstehen und rumrennen und warten. Aber es herrschte keine Not. Es wurde zu viel gefuttert, vor allem zu fett und zu süß.“

Fleisch spielte eine große Rolle auf den Speiseplänen. 96 Kilo verputzte ein DDR-Bürger nach Angaben von Autorin Voigt 1986 im Schnitt pro Jahr. Dazu kamen 43 Kilo Zucker, knapp 16 Kilo Butter und 307 Eier. „Als Verbraucher waren wir Weltspitze“, schreibt Voigt.

Sebastian Hadrys ist in Magdeburg geboren. Der Spitzenkoch hat die DDR als junger Mensch erlebt. Zur Wende, 1990, war er 14 Jahre alt. Heute führt er ein eigenes Restaurant, das „Landhaus Hadrys“. Für ihn steht die DDR-Küche für Gemeinschaft, Herzlichkeit, Zusammenhalt und Ideenreichtum, jedoch auch Handwerk. „Der Begriff saisonale Küche war zu DDR-Zeiten mehr geprägt als heute. Es war Grundvoraussetzung, den Kalender für Obst und Gemüse im Kopf zu haben. Denn es wurde nichts eingeflogen und zugekauft.“

Nur echt in der muschelförmigen Waffel: In der DDR gab es im Sommer Softeis mit Schoko-Vanille-Geschmack. Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn

Frage an den Gourmet: Warum sind es gerade diese einfachen Speisen, die heutzutage aus der DDR so bekannt sind? „Weil es sicher auch ein Kantinenessen war“, vermutet Hadrys. Es sei wie bei anderen Gerichten auch, die überregional sind und die breite Masse erreichten.
Auch wenn er Jägerschnitzel nach eigenen Wort grausam findet, kann Hadrys anderen berühmten Ostspeisen einiges abgewinnen und verrät ein paar Tipps, um sie aufzupeppen.  Die Karlsbader Schnitte etwa: Da könne man den Toast in ein Ei-Milch-Gemisch einlegen und ausbraten. „So wird es schön saftig – schmoddrig, wie ein glitschiges Stück Küchen.“ Danach wird es mit Schinken und Ananas belegt – darüber kommt Sauce Hollandaise und natürlich Käse. Dann wird es überbacken.

Falscher Hase, ein mit Ei gefüllter Hackbraten („ein schönes Gericht“), lasse sich als Bulette mit Ei-Scheibe in der Mitte oder oben drüber mit Spiegelei interpretieren, erklärt Hadrys. Wer möchte, nimmt feines Kalbsfleisch für die Bulette und macht statt der braunen und sehr kräftigen Soße lieber eine feinere auf Basis von Sahne und Zwiebeln. Dazu gibt es Pastinaken, Petersilienwurzel, Brokkoli, zwei, drei Kirschtomaten und rustikale Bratkartoffeln. „Man hat dadurch nicht den Flair vom Mischgemüse und dem langgezogenen Hackbraten, der im Osten ewig dunkel gebraten wurde.“

Wer in der „Volkskammer“ Falschen Hase bestellt, bekommt genau das. Einen länglichen dunklen Braten, Mischgemüse, Kartoffeln und kräftige dunkle Soße. Das im Fleisch versteckte Ei ist so grau, dass es kaum als Ei zu erkennen ist. Der Geschmack: deftig. Danach gefragt, was er mit DDR-Essen verbindet, sagt Aurick Günther: „Das ist zu Hause.“ Ihm, 1969 in Thüringen geboren, als die Mauer knapp acht Jahre stand, ist das Essen aus jener Zeit in Fleisch und Blut übergegangen.

Dann will man noch wissen, wer so die Gäste sind, die in sein Restaurant in dem unscheinbaren Plattenbau am Ostbahnhof kommen? Am Anfang seien es vor allem ältere Menschen gewesen, sagt Günther. Doch heute kämen auch jüngere Leute, es sei gemischt. Die Gäste würden ihm aber immer wieder bestätigen: „Es schmeckt genau wie früher.“ (dpa/Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn)

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