Gourmet

Knacken und schlürfen – Rezeptideen und Wissen rund um die Auster

Teuer, irgendwie schleimig und dann auch noch mit einem Happs weg: Austern gelten als eher spleenige Delikatesse. Dabei sind sie nicht nur sehr gesund – sie lassen sich auch auf sehr vielfältige Weise zubereiten.

Falk Landgraff teilt die Menschen gern in zwei Kategorien ein, jedenfalls wenn es um seinen Job geht. Es gibt die einen, die fast jede Mahlzeit stehen lassen würden für die kleinen, etwas schlüpfrigen Tierchen, die er ihnen serviert. Und dann gibt es die, die angeekelt das Gesicht verziehen. Landgraff arbeitet als Koch an der Austernbar des Berliner Kaufhauses KaDeWe. Wie viele Austern in seinem Leben schon geöffnet hat? Ein paar Hunderttausend vielleicht. Im Schnitt gehen hier 1.500 der Meerestiere über die Theke – wohlgemerkt pro Tag.

Austern gelten hierzulande als Delikatesse, häufig als verschwenderisches Essen für Reich und Schön. In Frankreich ist das vollkommen anders. Dort werden Austern auf der Straße geknackt. Die Franzosen verstehen sie als Grundnahrungsmittel. Dass sie dazu durchaus das Zeug haben, offenbart ein Blick auf die Inhaltsstoffe: Austern bestehen aus Wasser, Eiweiß, etwas Fett, Vitaminen und Mineralstoffen. Sie gehören zu den besten Zink-Lieferanten und enthalten rund 66 Kalorien pro Stück, also etwa so viel wie ein kleiner Apfel.

Bis sie ausgewachsen ist, braucht eine Auster dafür aber drei ganze Jahre. Unter anderem das macht sie so teuer. Im Feinkosthandel kosten eher günstige Exemplare rund 1,50 Euro, die teureren das Dreifache. Wild gefangen werden sie kaum noch. Der überwiegende Teil stammt aus Aquakulturen – in Europa zum Beispiel aus Frankreich, Holland, Irland und von der Nordseeinsel Sylt. In der Zucht wachsen sie in großen Säcken oder Körben auf, die im Meer stehen oder hängen. Bei Flut sind sie überspült, bei Ebbe kommen die Züchter leicht an die Tiere heran.

„Je schwerer die Auster ist, desto besser.“

Sind die Austern ausgewachsen, kommen sie in der Regel noch für einige Wochen in Becken mit klarem, planktonhaltigem Wasser. Dort fressen sie weiter, werden aber zugleich geklärt. „Fine de Claire“ nennt man die so veredelte Auster deshalb. Sie zeichnet sich durch einen ausgewogenen Salzgehalt aus. „Wildaustern schmecken deutlich intensiver“, erklärt Ulrich Wittur, der die Frankfurter Filiale der Handelskette „FrischeParadies“ leitet. Das sei nicht jedermanns Sache. Er selbst isst am liebsten Austern des Edelzüchters Gillardeau aus Westfrankreich – sozusagen den Rolls Royce unter den Austern. Sie werden nach der Aufzucht mehrere Monate nach einem speziellen Verfahren geklärt. Man erkennt sie an einem eingravierten „G“. Wie die Auster nun zu essen ist, darüber scheiden sich die Geister. Die einen meinen, man muss sie roh und ohne alles schlürfen, andere überbacken sie bis zur Unkenntlichkeit mit Käse. Wird sie roh verspeist, rät Wittur zum Kauen. „Manche stürzen die Auster einfach herunter“, sagt er. Dabei entgehe einem aber der feine nussige Geschmack, der sich erst nach einiger Zeit im Mund entfaltet.

Obwohl sich Austern auch überbacken, blanchieren oder gehackt verarbeiten lassen, essen viele sie gern roh - vielleicht mit einem Spritzer Zitrone. Fotos: Karolin Krämer/dpa-tmn

Obwohl sich Austern auch überbacken, blanchieren oder gehackt verarbeiten lassen, essen viele sie gern roh – vielleicht mit einem Spritzer Zitrone.
Fotos: Karolin Krämer/dpa-tmn

Christian Lohse, der mit zwei Michelin-Sternen dekorierte Chefkoch des Berliner Restaurants „Fischers Fritz“ im Hotel „Regent“, plädiert für weniger Dogmen in der Küche. „Wir bestimmen die Auster, nicht sie uns“, ist sein Credo. Sie darf roh gegessen werden, mit einem Spritzer Zitrone und sogar – Puristen müssen jetzt ganz stark sein – gehackt. Eine gehackte „Fine de Claire“ etwa vermengt Lohse in seinem Restaurant mit einer frisch aufgeschlagenen Sauce Hollandaise. Sie begleitet einen auf Holzkohle gegrillten Steinbutt. „Das Grill-Aroma bildet einen wunderbaren Kontrast zum Meerigen der Auster“, schwärmt er. Für zu Hause empfiehlt der Spitzenkoch zwei kleine gehackte Austern, gerührt in eine Bloody Mary mit geraspeltem Staudensellerie und etwas Zitronenabrieb. Dazu ein Spritzer grüner Tabasco. So wird aus einem Cocktail eine ganze Mahlzeit.

Falk Landgraff aus dem KaDeWe schlägt Austern-Neulingen vor, die Meerestiere kurz zu blanchieren. Dazu etwas Weißwein oder Reisessig zum Köcheln bringen, die aus der Schale gelöste Auster kurz hineintauchen und wieder herausnehmen. Je nach Jahreszeit kann man sie dann ganz unterschiedlich servieren: zum Beispiel in einer halben frischen Avocado, garniert mit Radicchio. Auch auf einer Kaltschale aus gewürfelten Gurken, Karotten, Fenchel, Apfel und Joghurt macht sich die blanchierte Auster gut. Dazu schmeckt eine Prise Kurkuma.

Saison haben Austern heutzutage übrigens immer. Früher sollte man sie nur in Monaten, die auf „r“ enden, essen – also nicht im Sommer. Das lag nicht nur an mangelnden Kühlmöglichkeiten, sondern auch an der speziellen Art und Weise ihrer Fortpflanzung. „Austern sind Hermaphroditen“, erklärt Landgraff. Sie beginnen ihr Leben als Männchen. Steigt die Wassertemperatur, werden einige zu Weibchen. Die früher in Europa gängige Flachauster öffnet sich dann und filtert das Meerwasser nach Spermien, die die Männchen abgegeben haben. Während dieses Prozesses ist die Flachauster kaum genießbar.

Die heute in Europa meistverkaufte Pazifische Felsenauster dagegen gibt ihre Eier ins Wasser ab und kann auch während der Sommermonate gegessen werden. „Zudem gibt es Züchtungen, die sich gar nicht mehr vermehren“, erklärt Wittur. Auch um Infektionen muss sich eigentlich niemand mehr Sorgen machen. Die Züchter werden streng kontrolliert, sagt Landgraff. Nicht für ratsam hält er es allerdings, wilde Austern zu essen, die man etwa am Strand gefunden hat. Und woran ist eine frische Auster an der Ladentheke zu erkennen? „Vor allem am Gewicht“, erklärt der Austern-Spezialist. „Je schwerer die Auster ist, desto besser.“ Das bedeutet nämlich, dass sie gut mit Austernwasser gefüllt ist. Einmal geerntet kann eine Auster fast zwei Wochen weiterleben. Sie hat die erstaunliche Fähigkeit, selbst Wasser zu produzieren. Kann sie das nicht mehr, wird sie schlecht und ungenießbar.

Zu Hause lagert man die Muscheln am besten geschlossen im Kühlschrank. Dabei zeigt die bauchige Seite nach unten, damit die Auster sich öffnen kann, ohne auszulaufen. Beschwert man sie von oben etwas, öffnet sie sich nicht. Spätestens nach ein bis zwei Tagen sollte sie gegessen werden. Dazu die Auster öffnen, das Wasser vorsichtig abgießen und einen Moment warten. „Sie produziert dann neues, frisches Wasser“, erklärt Wittur. Nun kann man das Fleisch mit einer Kuchengabel vorsichtig lösen und aus der Muschelschale schlürfen, wie der Kenner sagt. Dazu passt ein Glas Sekt, Champagner oder Weißwein. Zur deftigen Wildauster empfiehlt Landgraff seinen Gästen auch mal ein kräftiges dunkles Bier. (dpa)

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