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„Kontraste machen Appetit“ – Wie schönes Essen entsteht

Es gibt Gazpacho vom Ochsenschwanz. Als Gelee. Die ganz hohe Kochkunst. Doch die entscheidende Frage zu dem Gericht stellt sich nicht am Herd. Sie stellt sich auf dem schweren Holztisch vor der offenen Küche. Sie stellt sich zwischen fünf Schüsseln und einem Topf. Und Max Faber muss sich entscheiden. Worin sieht dieses orange-schimmernde Suppen-Gelee am leckersten aus? Fabers Augen scannen die aufgestellte Keramik nur kurz. „Den hier“, sagt er schnell und zeigt auf ein weißes Gefäß, das optisch irgendwo zwischen tiefem Teller und Suppenschüssel liegt.

Max Faber ist 36 Jahre alt und Food-Stylist. Sein Job ist es, Essen gut aussehen zu lassen. Eigentlich hat er Koch gelernt, hatte aber irgendwann keine Lust mehr auf die Gastronomie. Faber ist das, was man als lässigen Typ bezeichnet. Er trägt Basecap, Pullover, eine weite Leinenhose. Über seine Kleidung hat er eine graue Schürze gebunden. Faber steht in einem Loft, das Koch- und Fotostudio zugleich ist. Eine offene Küche, rustikal eingerichtet, davor steht der schwere Holztisch, daneben eine weiße Trennwand. Hinter der Wand wird das Essen fotografiert.

Die Bilder sind in einem Kochbuch mindestens so wichtig wie die Rezepte. Niemand will ein Rezept ausprobieren, wenn das Foto daneben aussieht wie der Gemüse-Eintopf aus der Betriebskantine. Die Fotos müssen also Appetit machen – das Fleisch muss saftig sein, das Gemüse in satten Farben strahlen, die Komposition aller Bestandteile perfekt arrangiert sein. Alles Schummelei, denken manche beim Betrachten solcher Bilder. Aber: Wird wirklich getrickst?

Weder die Gemüsestückchen in der Gazpacho noch die Kräuter auf dem getrockneten Brot sind Zufall: Mit viel Liebe zum Detail wurde die kalte Suppe ins rechte Licht gerückt. Foto: Jörg Lehmann/Teubner

Weder die Gemüsestückchen in der Gazpacho noch die Kräuter auf dem getrockneten Brot sind Zufall: Mit viel Liebe zum Detail wurde die kalte Suppe ins rechte Licht gerückt. Foto: Jörg Lehmann/Teubner

Erstmal wird gekocht. Das Essen kommt nicht aus der Retorte, sondern vom Herd. Kein Plastik, sondern frische Zutaten, am selben Tag eingekauft. Max Faber arbeitet nicht allein. An seiner Seite kocht konzentriert eine Frau. Anke Rabeler, 54, ist seit 23 Jahren Food-Stylistin. Gelernt hatte sie einmal Hotelfachfrau, dann wurde schönes Essen ihr Lebensinhalt. Gemeinsam arbeiten sie an einem Kochbuch für einen Verlag. Der hat insgesamt 70 Rezepte geschickt, die Faber und Rabeler kochen und hübsch anrichten sollen. Dafür bleiben ihnen vier Wochen Zeit. An diesem Tag kochen sie vier Rezepte durch – angesichts der anspruchsvollen Kreationen ein straffes Programm. Doch am Herd herrscht meist konzentrierte Ruhe.

Die Gazpacho ist fertig und plötzlich wird es doch etwas hektisch. Rabeler löffelt das Gelee in das weiße Gefäß, das Faber ausgewählt hat. „Wollen wir mehr?“, fragt sie Faber. „Ja, mehr!“ Faber holt einen kleinen, blauen Bunsenbrenner. Kurz hält er die Flamme über das Gelee – das gibt mehr Glanz. Danach platziert er kleine Würfel von Gurken, Paprika und anderem Gemüse im Gelee. Rabeler legt geröstetes Brot neben die Schüssel, streut ein paar Kräuter darüber.

Frisch sieht Essen nur aus, wenn es frisch gekocht wurde.

Die Szene erinnert an Kochsendungen. Kurz bevor die Kandidaten ihr Essen dem Juror zum Verkosten geben, werkeln sie noch hektisch am Teller herum. Ein letzter Soßenspritzer hier, ein Minze-Blatt da. Als könnte die Optik den Geschmack auf eine höhere Ebene heben. Statt eines Jurors kommt Jörg Lehmann. Sein Urteil über das vor ihm stehende Gazpacho-Gelee fällt er am Auslöser seiner Kamera. Lehmann, 57, ist Food-Fotograf. Seit mehr als 20 Jahren fotografiert er vor allem Essen. Früher hat er mal Mode und Reportagen aufgenommen. Hinter dem großem Koch- und Fotostudio ist ein kleinerer, dunkler Raum mit zwei Bildschirmen. Hier bearbeitet Lehmann die Fotos direkt. Etwas Kontrast und Farbkorrektur, mehr verändere er nicht an Bildern, sagt Lehmann.

Die Gazpacho ist rasch fotografiert. Stundenlang gekocht, minutenlang angerichtet, sekundenschnell abgelichtet. Das Gazpacho-Gelee leuchtet Köchen und Fotograf auf einem der Bildschirme entgegen. Die orangene, glitschige Masse sieht auf dem Bild erstaunlich lecker aus. Wie richtet man Essen eigentlich lecker an? Meist ergebe sich schon beim Kochen ein Bild, sagt Rabeler. Manchmal aber versteht sie ein Rezept nicht und ihr Kopfkino zeigt nur eine schwarze Leinwand. „Dann ist der Teller wie ein leeres Blatt Papier, und ich fange einfach an zu malen“, beschreibt sie. Prinzipiell gelte die Regel: Solange es kein Eintopf ist, sollten alle Bestandteile des Essens zu sehen sein. „Farbigkeit ist schön, Kontraste sind appetitlich“, sagt sie.

Ein wenig Speiseöl lässt die Fleischscheiben auf dem Foto frischer wirken. Food-Stylistin Anke Rabeler trägt es mit einem kleinen Pinsel auf. Foto: Tom Nebe/dpa-tmn

Ein wenig Speiseöl lässt die Fleischscheiben auf dem Foto frischer wirken. Food-Stylistin Anke Rabeler trägt es mit einem kleinen Pinsel auf. Foto: Tom Nebe/dpa-tmn

Eine weitere Regel: Frisch sieht Essen nur aus, wenn es frisch gekocht wurde. Bunsenbrenner und Speiseöl gehören zu den wenigen Hilfsmitteln, die die Food-Stylisten für ihre Kochbuch-Bilder nutzen. Ihr Essen kann man essen. Chemische Hilfsmittel wie Rasierschaum oder Lebensmittelfarben gibt es nur in der Werbe-Fotografie, sagt Faber. Die mache er auch, das sei aber nur ein Bruchteil seiner Arbeit.

Faber und Rabeler stehen schon wieder in der Küche. Meerrettich-Pralinen rollen, Blaukartoffel-Chips frittieren, Apfel-Lauch-Salat anmachen – die Gazpacho war erst das zweite Rezept an diesem Tag, zwei weitere müssen noch gekocht werden: ein Gelee vom Tafelspitz mit den Pralinen und dem Salat, dann ein Rindersteak mit Petersilie-Mayonnaise, den Kartoffelchips und eingelegtem Gemüse.

Zeit genug für Fotograf Lehmann, etwas zu zeigen. Ein Stockwerk über dem Loft hat er eine weitere Wohnung. Dort steht ein Metallregal. Zwölf Meter lang, mehr als drei Meter hoch, gefüllt mit rund 3.000 Teller, Auflaufformen, Schüsseln, Etagere. In Schubfächern hat er Hunderte Messer, Gabeln und Löffel. Andere müssen für die Food-Fotografie all das mieten, Lehmann hat es da. „Damit statte ich alle Kochbücher aus“, sagt er. All das ist mindestens so wichtig für die Fotos wie die kochenden Food-Stylisten. Damit Essen gut aussieht, kommt es nicht nur darauf an, was auf dem Teller liegt. (dpa/Titelfoto: Jörg Lehmann/Teubner/dpa-tmn)

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